Full text: Sozialdemokratie, Christentum, Materialismus und der Krieg.

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haben ihre Bedeutung für ihn verloren. In diesem Augenblick ist ihm 
das Dasein keine Angelegenheit, die der Kritik des Verstandes unter- 
liegt, sondern eine reine Gefühlssache, bei der es keine Wahl und keinen 
Irrtum gibt. In solchem Augenblick, in dem ihm das Aufgeben des 
Ichs gleichgültig ist, hat er in Gemeinschaft mit gleichwertigen Kame- 
raden nur das Bewußtsein, daß er ein vollwertiger Teil des Ganzen ist. 
In diesem Sinne kann man wohl behaupten, daß der Krieg in 
seinem ernstesten Stadium den Menschen veredelt, und nur die Begleit- 
umstände, denen er bei vollem Bewußtsein der Individualität ausge- 
setzt ist, können es sein, die ihn verrohen. 
Wir haben gesehen, daß das Gefühl der Individualität, d. h. das 
Gefühl der Unterschiedlichkeit mit der Entwicklung zum Besseren nach- 
läßt; und es wird überhaupt verschwinden, wenn die Menschen auf 
hoher Kulturstufe eine körperliche und damit auch geistige Ebenmäßig- 
keit erreicht haben. Auf dieser Kulturstufe gibt es dann keinen Irrtum 
mehr, infolgdessen auch weder Recht noch Unrecht, sondern einen ewigen 
Frieden. Bei solcher Einfachheit und Erhabenheit sind dann alle 
Organe ciner Verwaltung und Verteidigung überflüssig, denn der Mensch 
tut hier seine Pflicht, weil er kann und nicht weil er muß. Auf dieser 
Stufe hat der Mensch nur wieder für sein Dasein zu arbeiten, weil es 
ein Bessersein für ihn nicht mehr geben kann; die ganze Tätigkeit be- 
schränkt sich hier produktiv nur für die Erhaltung, ferner auf die Er- 
ziehung und Unterhaltung. Da hierbei alle Kräfte aufs vorteilhafteste 
fürs Ganze nutzbar gemacht werden, so wird die notwendige Arbeits- 
zeit für jeden einzelnen eine sehr geringe sein, und die Arbeit selbst 
wird mehr eine Erholung als Anstrengung sein. Mit Dankbarkeit wird 
der Mensch auf dieser Höhe sich seiner Ahnen erinnern, die, um diesen 
Hustand des menschlichen Daseins zu erreichen, gekämpft und gelitten 
aben. 
Der entwicklungsgeschichtliche Höhenmensch wird sich aber durch- 
aus nicht durch Bedürfnislofigkeit auszeichnen, sondern er wird an die 
Lebenshaltung, an edle Unterhaltung und an Pflege die höchsten An- 
forderungen stellen, nur daß diese durch eine vollkommene Regelung 
und ökonomische Ausnutzung aller Hilfsmittel für jeden in gleicher 
Weise zur Verfügung stehen. 
Wenn man in Betracht zieht, daß heute für die Verteidigung und 
Verwaltung des Staates, ferner für die Beaufsichtigung der Arbeit, für 
den Fortschritt der Produktion, für die Verteilung der Güter und für 
das überflüssige Luxusbedürfnis der höheren Kreise ein riesiger Apparat 
notwendig ist, der der Produktion entzogen wird, so kann man ermessen, 
wie sehr die Arbeit eingeschränkt werden kann, wenn nur für das Be- 
dürfnis einer vernünftigen Menge gearbeitet wird, und wieviel Zeit dann