Full text: Sozialdemokratie, Christentum, Materialismus und der Krieg.

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gibt, d. h. man nimmt ihn ganz, oder man lehnt ihn ab; Modifikationen, 
Umdeutungen und Verwässerungen läßt er nicht zu. Wie anders der 
Idealismus! Dessen metaphysisches Gebiet. ist so groß und dunkel, 
daß sich jeder nur einigermaßen Begabte eine eigene Weltanschauung 
leisten kann. Man nimmt sich einfach eine philosophische Größe der 
Vergangenheit, behauptet an einer Stelle eine Abweichung, was um 
so erfolgreicher ist, als es für die Wahrheit doch keine Kriterien gibt, 
man kleidet die Abweichung in Worte; bei diesen spart man den 
terminus technicus nicht, um das Ganze möglichst unverständlich zu 
machen, und man gilt bei einem harmlosen Leserkreis als der tief- 
sinnigste und größte Philosoph des Jahrhunderts, von dem ein Kant 
noch was lernen könnte. — Unser Materialismus hat aber neben seiner 
Einfachheit auch sittliche Grundlagen, die denen drr Kirche in nichts 
nachstehen, sondern die auch vielfach mit denen der Kirche überein- 
siimmen: die aber den Vorzug haben, nicht nur unserem Gemüts- 
bedürfnis zu entsprechen, sondern die sich auch wissenschaftlich recht- 
fertigen lassen. 
Seine wissenschaftliche Rechtfertigung und Beweiskraft nimmt 
der Materialismus aus der Entwicklungslehre, infolgedessen kann man 
behaupten, daß die Erkenntnis der Entwicklungstheorie der bedeutendste 
Schritt in der Richtung ist, die dahin führt, daß sich der Mensch selbst 
erkennt, d. h. in jenes Zeitalter, wo die Welt dort am vollkommensten 
ist, wo sich der Mensch befindet, da dieser als ein Abbild der Welt, 
d. h. als ein wirklicher Mikrokosmus mit sich auch die Welt erkennt. 
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Duqhbruderel von A. W. giafelbt, Oserwieck (Gar)).