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zumal durch Vermischen und Übergänge an den Grenzen infolge der
Freizügigkeit von heute und der Völkerwanderungen des Mittelalters
die vorhandenen Unterschiede noch wesentlich ausgeglichen sind. Die
vorhandenen wesentlichen Unterschiede basieren also auf Religion und
Erziehung, es sind also solche des Kopfes und zwar des Gehirns, d. h.
es sind Unterschiede philosophischer Natur und nicht ökonomischer.
Den Unterschieden der einzelnen Staatsangehörigen entspricht
ein solcher der Staaten, der allerdings im Wirtschaftsleben letzterer am
schärfsten zum Ausdruck kommt. Der wirtschaftliche Unterschied ist also
gewissermaßen als Folgerung aus dem Philosophischen der Maßstab des
letzteren, aber nicht die Ursache, wie es die materialistische Geschichts-
auffassung lehrt.
Bei der Betrachtung der besonderen Gegensätze zwischen den krieg-
führenden Mächten kommen wir zu den Ursachen des Krieges und wir
werden finden, daß auch diese philosophischer und nicht wirtschaftlicher
Natur sind.
Der historische Materialismus und die Internationalität.
Frankreich.
Betrachten wir zuerst unseren Erbfeind Frankreich. Der philo-
sophische Unterschied zwischen uns und den Franzosen dürfte wohl
wesentlich darin liegen, daß der Franzose temperamentvoller und ober-
flächlicher ist, der Deutsche hingegen ruhiger und gründlicher. Wenn
man den Franzosen nach den Elementen beurteilt, die ihn gegenwärtig
in der Offentlichkeit vertreten, so muß man ihn für den Mann der
Phrase, der Pose und der Geste halten; während der Deutsche doch mehr
der Mann des Gedankens, der Tat und der Aufrichtigkeit ist. Im Er-
fassen einer Idee und im Ergreifen der Initiative zu ihrer Durch-
führung mag der Franzose uns überlegen sein, in der Ausführung sind
wir ihm aber durch unseren Ordnungssinn, durch unser Organisations-
talent und vor allen Dingen durch unsere Zähigkeit weit überlegen.
Es ist charakteristisch und nicht nur ein Spiel des Zufalls, daß
die große französische Revolution die Menschenrechte, die die mittel-
alterliche Entwicklung des Christentums erstickt hatte, als Freiheit,
Gleichheit und Brüderlichkeit wieder zur Welt gebracht hat und zwar
nicht aus theologischen sondern aus philosophischen Gründen. Diese
Menschenrechte aber zur Geltung und Anerkennung zu bringen, das
blieb uns schwerfälligen Deutschen vorbehalten, die wir nicht umsonst
einen Luther, Kant und Goethe gehabt haben und die wir uns nicht
mit theoretischen Erkenntnissen allein begnügen, sondern sie auch in
die Praxis zu übersetzen versuchen, wenn dieses den Schwierigkeiten