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selbst. Aber auch die Russen haben sich unter der Herrschaft der Ta—
taren dieser Regierungsform derartig angepaßt, daß sie dieselbe auch
beibehalten haben, als sie sich von den Tataren befreit hatten. Der
Despotismus ließ dann, um sich zu behaupten, irgendwelche fortschritt-
liche Entwicklung nicht mehr aufkommen, so daß die Objekte der Re-
gierung nur in dem Sinne eine politische Gleichheit erreicht hatten, daß
für alle die gleiche Rechtlosigkeit galt und daß das einzige Recht die
Willkür und die Macht der Herrschenden war. ·
Es ist ohne weiteres verständlich, daß in einem despotisch regierten
Lande mit Untertanen passiver Natur, wie solche den Slaven eigen war,
Selbstbewußtsein und Vertrauen auf sich und andere nicht zu finden ist,
sondern daß hündische Unterwürfigkeit die erste Bürgerpflicht bedeutet.
In solchen Staaten kommen dann auch nur Naturen zur Gelstung, die
das hündische Kriechen und Schmeicheln nach oben am besten verstehen
und die den Despotismus nach unten am brutalsten und rücksichtslosesten
zur Geltung bringen. In diesem Sinne mußte sich naturgemäß eine
Oberschicht entwickeln, die die Menschenwürde nur in der Person des
Zaren respektierte und die die breiten Massen der Bauern nur als
Helotentum bewertete, das sie wirtschaftlich und politisch durch List und
brutale Gewalt nach Möglichkeit auszunutzen versuchten.
Immerhin ist es verständlich, daß dem russischen Bauern die
zarische Knute sympathischer war als die Prügel der Mongolen, zumal
er sich als Christ und Europäer als etwas Besseres ansehen mußte. Zum
Christentum und zwar zum griechisch-katholischen Bekenntnis waren
die Russen schon unter Wladimir im 10. Jahrhundert bekehrt. Das
Ethische des Christentums konnte für die wirtschaftlich und politisch ge-
knechteten und unterdrückten Bauern vielleicht ein Evangelium sein,
das ihre Anspruchslosigkeit und Zufriedenheit mit der irdischen Unzu-
länglichkeit heiligte und ihnen dafür einen Ausgleich im Himmel in
Aussicht stellte. Das Kosmopolitische des Christentums kam bei ihnen
damals überhaupt nicht in Frage, da sie ihr Christentum, das sie für
das allein seligmachende hielten, als eine Sache des Slaventums an-
sahen, die sie gegen die afiatischen Mongolen zu verteidigen hatten.
Hingegen fanden sie das Demokratische des Christentums dadurch in die
Praxis übersetzt, daß die breiten Massen frühzeitig zu einer gemein-
samen Entsagung und zu gemeinsamen Leiden im Dienste des Ganzen,
das sich in ihrem Zaren verkörperte, erzogen wurden.
Jedenfalls ist das Christentum, das die Russen mit ihrer poli-
tischen und wirtschaftlichen Lage zufrieden mächte und das wissenschaft-
lich und kritisch zu nehmen, ihnen die Bildung fehlte, weder ein Mo-
ment gewesen, das sie veredelt hat, noch ein solches, das sie im Sinne
eines gesunden Kulturfortschritts beeinflussen konnte. Man kann sogar