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um eine Vergrößerung Rußlands, auch nicht so sehr um den Besitz der
Haggia Sophia, als wesentlich um den eisfreien Zugang zum Mittel-
meer und damit zu den Zugängen der Weltmeere überhaupt.
Wenn die Russen auch keine wirtschaftlichen Hilfsquellen haben,
die einen Überseeverkehr bedingen und begünstigen und wenn sie auch
kein Geschick haben, sich im Zwischenhandel eine in Betracht kommende
Seegeltung zu verschaffen, so kann man es trotzdem verstehen, daß bei
ihrer Weltmachtstellung, ihrer Anmaßung und ihrer politischen Über-
hebung die Abhängigkeit und Bedeutungslosigkeit in maritimer Be-
ziehung ihnen ein Gefühl wirtschftlicher und politischer Armut ver-
leihen mußte, das zu beseitigen in erster Linie mit in den Interessen-
zirkel ihrer politischen Bestrebungen gehörte. In dieser Beziehung
konnten dann frühzeitig die wirtschaftlichen Interessen des Kapitalis-
mus mit den religiösen und panslavistischen der breiten Massen auf
dieselbe Zielstrebigkeit vereinigt werden. Es kommt auch dazu, daß
ihnen die Erreichbarkeit eines eisfreien Zugangs zum Mittelmeer über-
haupt leichter erschien als im Norden zum Ozean, denn dort hatten sie
sich mit germanischen Völkern auseinanderzusetzen, die ihnen in militä-
rischer Beziehung sicher überlegen waren. Hingegen hatten die Türken ihre
militärische Bedeutung immer mehr und mehr eingebüßt, so daß sie sich
in der letzten Zeit überhaupt nur noch mit Hilfe der am Balkan inter-
essierten Westmächte halten konnten
Den Anfang in der Vertreibung der Türken vom europäischen
Boden hat bereits Peter d. Gr. gemacht, indem er ihnen die Ufer des
Asowschen Meeres entrissen hat. Damit hatte Peter auch bereits einen
unmittelbaren Zugang zu den südlichen Gewässern erreicht. Nach ihm
ist es auch hier besonders Katharina II. gewesen, die am Schwarzen
Meere weiter vorgedrungen ist und zwar ermöglicht dadurch, daß ihr der
Deutsche Münnich die Heere dazu herangebildet hat. %
Die Russen hatten es mit ihrem weiteren Vordringen aber
schließlich nicht allein mit den Türken zu tun, sondern der ganze Westen
Europas hatte ein Interesse daran, daß die Macht des russischen Despo-
tismus nicht zu weit rückte, da dieser den Westen nur mit einer halb-
asiatischen Kultur beglücken konnte, deren wichtigstes Regierungs-
requisit die Knute war und deren Wirkung nur durch Lüge, Schmeichelei
und Bestechung abgeschwächt werden konnte. Von den Westmächten
waren nun diejenigen, die es in erster Linie anging, nämlich die Deut-
schen und Österreicher, unter sich nicht einig und da ihr politischer
Horizont nicht weiter reichte, als sie vom Kirchturm aus sehen konnten,
so hatten sie nach ihrer Ansicht zu Hause wichtigere Sachen auszutragen
als in weiser Voraussicht zur rechten Zeit dem eroberungssũchtigen
Russen entgegenzutreten. Dafür waren es aber die heutigen intim