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der Konsolidierung seines Reiches von einer aufrichtigen Friedensliebe
beseelt ist.
Es ist also ohne weiteres einzusehen, daß der dominierende Teil
des englischen Volkes für den Umfang, die Dauer und die Tragik des
Krieges verantwortlich ist, und daß die Ursachen, die es dazu getrieben
haben, allein imperialistischer Natur sind. Und zwar imperialistisch in
philosophischem Sinne, d. h. um sich seine Kultur, die in Sprache,
Sitten und Gebräuchen besteht, zu sichern. Zu den Sitten und Ge-
bräuchen gehört aber auch das Geldverdienen und die Befriedigung der
Magenfrage. Bei dieser kommt es aber nicht allein auf die Befriedigung
überhaupt an, sondern auch darauf, wie sie befriedigt werden soll. Hier-
durch wird aber die materialistische Ursache ihrerseits Wirkung einer
idealistischen Ursache, denn die Magenfrage soll nach nationalen Sitten
und Gebräuchen befriedigt werden. Diese Tatsache, die nicht zu ver-
kennen ist, muß uns aber auch zu dem Schluß führen, daß es in der
Entwicklung der Menschheit und in ihrem Tun und Treiben überhaupt
weder ein rein idealistisches noch materialistisches Ursachsverhältnis gibt,
sondern daß beides, wie ich weiter oben schon näher ausgeführt habe,
voneinander abhängt und mehr oder weniger wechselseitig aufeinander
wirkt. «
Was in kultureller Beziehung für die Engländer gilt, das gilt
noch mehr für die jüngere aber nicht verbesserte Auflage des Angel-
sachsentums, nämlich für die Nordamerikaner. Auch diese haben trie-
fend von sittlicher Entrüstung Elle und Hauptbuch bei Seite gelegt
und zähnefletschend zur Waffe gegriffen. Die Ruhe und Gelassenheit,
mit der man in Deutschland die Kriegserklärung der Amerikaner zu
den übrigen gelegt hat, zeigt, wie hoch man die unbegrenzten Möglich-
keiten dieses Krämervolkes in militärischer Beziehung eingeschätzt hat.
Die eigene Geschichte Amerikas beginnt erst mit dem Jahre 1783,
in dem die Unabhängigkeit unter Proklamierung der Menschenrechte
erreicht wurde. Wenn schon in England für die Entwicklung der Denk-
richtung die Lehren des Calvinismus maßgebend sind, so mußte dieses.
noch mehr in Amerika der Fall sein, da die aus dem Mutterlande ein-
gewanderten Kolonisten sich im Anfang in der Hauptsache aus den
strenggläubigen Calvinisten rekrutierten. Als die katholischen Stuarts
in England und Schottland noch einmal zur Geltung kamen und die
Puritaner, Independenten und Quäker nach Möglichkeit verfolgten,
da sind es wesentlich die glaubensstarken Elemente dieser Gemeinschaften
gewesen, die den Staub Altenglands von den Füßen geschüttelt und
Amerika befiedelt haben. Es ist deshalb verständlich, daß das aus dem
Urchristentum gesogene bürgerliche Selbstbewußtsein nach der Unab-
hängigkeit zu einer Republik führen mußte, in der der herrenlose Grund