Full text: Das Civil-Medizinal-Wesen im Königreiche Bayern. 2. Band. Die Medizinalpolizei. (2)

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Eine fernere Abweichung von dem wirklichen Thatbestande 
entsteht durch die verschiedenen Ansichten der Aerzte über den 
Ausgang der Krankheit und den Zeitpunkt, wann sie einen 
Kranken als genesen abschreiben sollen. Auch hier ist ein con— 
formes Verhalten nöthig, wenn anders die offiziellen Listen 
irgend einen Zweck erfüllen sollen, und ist der Grundsatz fest- 
zuhalten, daß diejenigen Individuen, welche als cholerakrank 
zugegangen sind, nur dann als genesen betrachtet werden können, 
wenn die wesentlichen Cholera-Symptome bei ihnen verschwun- 
den sind und die Reconvalescenz eingetreten ist. Wollte man nur 
die vollkommen wieder Hergestellten und bereits Arbeitsfähigen 
als genesen eintragen, wie Solches bei anderen Krankheiten 
geschieht, so würde der jeweilige Krankenstand größer erscheinen 
als er in der That ist; — wollte man aber im Gegensatze jene 
Cholerakranke als genesen abschreiben, welche das Kältestadium 
überstanden haben, so würden die Endresultate der Behandlung 
sowohl in Beziehung auf die Epidemie als auch auf den ein- 
zelnen behandelnden Arzt der Wahrheit entgegen viel günstiger 
erscheinen als sie es in der That sind. Bekannt ist nämlich, 
daß der Cholera nicht selten ein typhus-ähnlicher Zustand folgt, 
welchen die Aerzte „Choleratyphoid“ nennen; die hieran Ge- 
storbenen müssen als der Cholera erlegen aufgeführt werden, 
wenn die officiellen Listen irgend einen Werth haben sollen. 
Es kommt zwar allerdings vor, daß alte und kränkliche Personen, 
wenn sie von der Cholera ergriffen und nicht gleich von ihr 
hinweggerafft werden, sich doch nicht mehr recht erholen und 
später zu Grund gehen, und Diese sind allerdings nicht als der 
Cholera erlegen zu betrachten; inzwischen darf man auch bei 
Solchen den Tod als die Folge der Cholera ansehen, wenn er 
innerhalb der ersten 8 Tage nach ihrem Zugange erfolgt ist. 
Jene Aerzte, welche ihre Kranken in auffallend kurzer Zeit 
als genesen angeben, erregen den Verdacht, daß sie entweder 
Cholera nennen, was keine ist, oder Kranke für genesen erklären, 
welche oft schon wenige Tage später der Krankheit erliegen. 
Aerzte, bei welchen der Verdacht einer den obigen Principien 
nicht entsprechenden Handlungsweise entsteht, sind einer Controle 
zu unterwerfen und ihre Kranken, wo es die Verhältnisse irgend 
erlauben, durch den Gerichtsarzt zu besuchen, um die Richtig- 
keit des Thatbestandes zu constatiren. Auch die Todtenzettel 
sind als Controle gegen solche Aerzte zu benützen, welche ihre
	        
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