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Eine fernere Abweichung von dem wirklichen Thatbestande
entsteht durch die verschiedenen Ansichten der Aerzte über den
Ausgang der Krankheit und den Zeitpunkt, wann sie einen
Kranken als genesen abschreiben sollen. Auch hier ist ein con—
formes Verhalten nöthig, wenn anders die offiziellen Listen
irgend einen Zweck erfüllen sollen, und ist der Grundsatz fest-
zuhalten, daß diejenigen Individuen, welche als cholerakrank
zugegangen sind, nur dann als genesen betrachtet werden können,
wenn die wesentlichen Cholera-Symptome bei ihnen verschwun-
den sind und die Reconvalescenz eingetreten ist. Wollte man nur
die vollkommen wieder Hergestellten und bereits Arbeitsfähigen
als genesen eintragen, wie Solches bei anderen Krankheiten
geschieht, so würde der jeweilige Krankenstand größer erscheinen
als er in der That ist; — wollte man aber im Gegensatze jene
Cholerakranke als genesen abschreiben, welche das Kältestadium
überstanden haben, so würden die Endresultate der Behandlung
sowohl in Beziehung auf die Epidemie als auch auf den ein-
zelnen behandelnden Arzt der Wahrheit entgegen viel günstiger
erscheinen als sie es in der That sind. Bekannt ist nämlich,
daß der Cholera nicht selten ein typhus-ähnlicher Zustand folgt,
welchen die Aerzte „Choleratyphoid“ nennen; die hieran Ge-
storbenen müssen als der Cholera erlegen aufgeführt werden,
wenn die officiellen Listen irgend einen Werth haben sollen.
Es kommt zwar allerdings vor, daß alte und kränkliche Personen,
wenn sie von der Cholera ergriffen und nicht gleich von ihr
hinweggerafft werden, sich doch nicht mehr recht erholen und
später zu Grund gehen, und Diese sind allerdings nicht als der
Cholera erlegen zu betrachten; inzwischen darf man auch bei
Solchen den Tod als die Folge der Cholera ansehen, wenn er
innerhalb der ersten 8 Tage nach ihrem Zugange erfolgt ist.
Jene Aerzte, welche ihre Kranken in auffallend kurzer Zeit
als genesen angeben, erregen den Verdacht, daß sie entweder
Cholera nennen, was keine ist, oder Kranke für genesen erklären,
welche oft schon wenige Tage später der Krankheit erliegen.
Aerzte, bei welchen der Verdacht einer den obigen Principien
nicht entsprechenden Handlungsweise entsteht, sind einer Controle
zu unterwerfen und ihre Kranken, wo es die Verhältnisse irgend
erlauben, durch den Gerichtsarzt zu besuchen, um die Richtig-
keit des Thatbestandes zu constatiren. Auch die Todtenzettel
sind als Controle gegen solche Aerzte zu benützen, welche ihre