Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

90 Aus den Jahren 1850 bis 1866 
Sonntag den 26. früh 9½ Uhr ging ich in die mir bekannte Kirche 
in Farm-Street, eine ganz besonders reinliche und freundliche Kirche. 
Um 1 Uhr fuhr ich auf die Eisenbahnstation Waterloo-Bridge, um 
nach Windsor zu fahren. Auf dem Bahnhofe waren zahllose Sonntags- 
leute, die außerhalb der Stadt Erholung suchten. Ich kam um ½3 Uhr 
nach Windsor, besuchte Tante Feodora und die Herzogin von Kent, die 
ich auf dem Wege der Besserung fand, in Frogmore und ging dann über 
die Terrasse des Schlosses Windsor nach dem Bahnhofe zurück, von wo 
ich mit dem Zuge um 6 Uhr nach London zurückfuhr, wo ich um 7 Uhr 
ankam. 
Um 8 Uhr war wieder Diner bei Hofe. Hier sah ich den Prinzen 
von Wales, der eben von seiner Kontinentreise zurückgekommen war. Er 
sprach mir viel von Rom und seiner Seereise nach Gibraltar auf Viktors 
Schiff. Er scheint ein recht wohlerzogener junger Mensch, etwas erschreckt 
durch seinen Vater. Leider ist er auffallend klein für sein Alter. 
Zu Tische führte ich Lady Sidney Herbert, die Frau des gegenwärtigen 
Kriegsministers, mit welcher ich übrigens nur wenige Worte wechseln 
konnte, da die auf der andern Seite sitzende Prinzeß Alice, zweite Tochter 
der Königin, mir viel zu erzählen hatte. Sie scheint für ihr Alter wohl- 
unterrichtet, ist aufgeweckt und munter, und ihr Gesicht ist trotz der langen 
Nase, die sie selbst als eine Kalamität bedauerte, ganz hübsch. Nach Tisch 
war wieder Cercle, bei welchem sich die Königin lange mit mir über die 
neuesten politischen Verhältnisse unterhielt und dabei die Besorgnis aus- 
sprach, daß man in Berlin wieder halbe Maßregeln ergreifen werde. 
Eine Befürchtung, die ich vollkommen teilte. Unter den geladenen Gästen 
war der alte, nun sehr gebrechliche Lord Aberdeen, dann ein Mann 
mit großem Bart, der mir als Herzog von Newocastle bezeichnet wurde, 
Lord Carlisle, der Statthalter von Irland, ein affektierter Mensch, 
der ganz die Bewegungen eines alten Ballettmeisters hat, endlich Sir 
Sidney Herbert, ein lebhafter, viel gestikulierender Mann. Beim Aus- 
einandergehen verabschiedete ich mich bei der Königin, da ich die Absicht 
hatte, den nächsten Abend abzureisen. Prinz Albert bat mich, ihn den 
andern Tag noch zu besuchen. 
Montag den 27. besorgte ich einige Geschäfte, besuchte bei dieser 
Gelegenheit den Tower und sah mir dann Lincolns Inn an, das große 
Gebäude, in dem die Gerichtsverhandlungen der Court of Chancery und 
andrer Zivilgerichte abgehalten werden. Ich trat in einige der Sitzungs- 
zimmer und fand, daß die Verhandlungen vor den mit Perücken gezierten 
Richtern mit großer Gemütlichkeit geführt wurden. Leider hatte ich nie- 
mand, der mir die verschiedenen Personen und ihre Funktionen nennen 
konnte.
	        
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