Aus den Jahren 1850 bis 1866 95
die zwei anwesenden Zivilgouverneure, als die Tafel angekündigt wurde,
vor mir auf die Damen des Hauses, und ich ging mit dem Hausherrn
und Peter 1) nach. Ich saß neben dem Generalgouverneur, der während
des Essens das absurdeste Zeug über höhere Politik debitierte, und hatte
zu meiner Linken ein junges Mädchen, das mit seiner Nachbarin in verschie-
denen Sprachen konversierte. Ich fand keinen Grund, mich hineinzumischen.
Nach Tisch besuchten wir den Park, der das Haus umgibt, und sahen uns
die zwei lebendigen Auerochsen an, die da gehalten werden. Zwei merk-
würdige Tiere. Während die übrige Gesellschaft scheu hinter den Bäumen
versteckt blieb, ging ich mit Peter und dem Wächter der Tiere ganz nahe
heran und hatte das merkwürdige Schauspiel, zwei dieser sonderbaren
Tiere auf drei Schritte vor mir zu sehen. Sie fraßen ruhig an einigen
auf dem Boden liegenden Aesten, ihrer Hauptnahrung, und kümmerten
sich wenig um uns. Doch sollen sie bisweilen kleine Attacken auf Menschen
ausführen. Der Park war wunderschön durch den aufgehenden Mond
und die Abenddämmerung erhellt. Vor uns floß der stille Fluß in sanften
Windungen, jenseits lagen dunkle Kiefernwälder, und neben uns rauschte
ein kleiner Wasserfall dem Flusse zu. Wir zogen uns, da es 7 Uhr war,
bald zurück, setzten uns in unsern Wagen und fuhren nach Werki zurück,
wo wir uns mit astronomischen Betrachtungen durch ein Teleskop unter-
bielten, bis Pastor Lipinsky kam, mit dem ich in ein langes Gespräch
über die neuesten Bewegungen in der protestantischen Kirche in Deutsch-
land geriet. Er wußte merkwürdigerweise weniger davon als ich, und
mein Licht leuchtete hell. Doch bald hatte ich auch meine enzyklopädische
Weisheit verbraucht, worauf dann allgemeine Schläfrigkeit eintrat.
25. September 1860.
Ich schreibe hier in einem Zelt, das mir Schatten gewährt, da draußen
eine große Sonnenglut herrscht. Die Tür ist offen, ich sehe vor mir den
Wald und höre die Eichen und Kiefern über mir rauschen.
Am 23. fuhren wir Morgens in einer halbbedeckten Kalesche von
Werki ab, wechselten in Wilna und einigen andern Stationen die Pferde
und kamen durch häßliche öde Gegenden nach Lubcz abends 8½⅛ Uhr.
Nur zuletzt wurde die Gegend etwas freundlicher, der erste Teil des Wegs
war lediglich Sand und Kiefern. Lubcz ist ein Wittgensteinsches Gut nahe
am Niemen. Das Schloß war früher großartig und befestigt. Der Brand
hat aber bis auf zwei Türme alles zerstört.
Am 24. wurde eine Jagd abgehalten. Erst gegen Abend kamen Reb-
hühner, Birkhühner und Bekassinen zum Vorschein. Der Tag war hell
und warm und abends waren die weite Ebene und die grünen fer des
1) Fürst Peter z zu Sayn- Wittgenstein (1831—1887), Bruder der Fürstin.