96 Aus den Jahren 1850 bis 1866
Niemens durch die untergehende Sonne magisch beleuchtet. Um ½9 Uhr
setzten wir uns in den Wagen, um das Jagdbiwak zu erreichen. Es
war eine prachtvolle Mondnacht, und der Anblick der wüsten Ebene mit
niedrigem Gestrüpp, aus dem der Nebel langsam emporstieg, zauberhaft.
Nach einer halbstündigen Fahrt kamen wir an den Niemen, fuhren auf
einem Floß hinüber und kamen dann in ein Dorf. Hier wurde uns mit-
geteilt, daß der große Wagen nicht weiterkönne. Ein einspänniger Bauern-
wagen stand bereit. Wir bestiegen ihn und fuhren nun dem Walde zu.
Bald konnte aber auch dieses Vehikel nicht mehr weiter, wir machten uns
zu Fuß auf den Weg und erreichten bald Koslowabor, ein einsames
Gehöft, in dessen Nähe die Zelte und das flackernde Feuer uns angenehm
entgegenleuchteten. Wir machten nun unfre Vorbereitungen für den
morgenden Tag, luden die Büchsen, richteten Patronen und legten uns
schlafen. Es war das erstemal, daß ich in einem Zelt schlief. Draußen
am Feuer sprachen die Jäger, der Wind rauschte durch den Wald. Nach
und nach verstummten die Gespräche, und bald fielen wir in einen an-
genehmen Schlummer, der jedoch um ½4 Uhr mit dem Rufe: „Es ist Zeit“
gestört wurde. Wir waren bald fertig; die Büchse auf der Schulter und
einen langen Stock in der Hand ging es nun in den Wald. Zwei Jäger
begleiteten uns. Allerdings keine Jäger, wie man sie sich bei uns vor-
stellt. Sie hatten graue Röcke, weiße Leinwandhosen und Sandalen.
Dessenungeachtet sind es die besten Jäger für diese Art Jagd, die ich
kenne. Es handelte sich nun darum, in den Sümpfen den Elchhirsch an-
zulocken. Auf einem freien Platz angelangt, rief der eine Strajnik durch
ein Birkenhorn, ganz wie die Hirsche zu tun pflegen. Ein Hirsch antwortete
nicht weit von uns, kam aber nicht zum Vorschein. Wir versuchten nun
an andern Stellen Hirsche zu locken, aber umsonst. Lohnend aber war
der Weg durch den Wald; der über zwei Quadratmeilen große Sumpf
ist bedeckt mit Erlen, Birken, Efeu und anderm Laubholz. Dabei ist das
Unterholz so dicht und so mit Schilf durchwachsen, in dem Schlinggewächse
aller Art wuchern, daß es fast unmöglich ist, durchzukommen. Es ist das
vollständigste Bild eines Urwaldes. An den tiefsten Stellen sind Sträucher
und Bäume in das Wasser gelegt, auf denen man mühsam hinüberwandelt,
wenn nicht gerade ein umgestürzter Baumstamm eine bequeme Brücke baut.
An den meisten Stellen ist aber keine Vorbereitung dieser Art getroffen,
und es bleibt nichts andres übrig, als durch das moorige Wasser und
den Schlamm zu waten. Es ist ein ewiges Platschen, Springen von
festem Boden zu festem Boden, ein Durchwinden durch engverwachsene
Sträucher. So ging es fünf Stunden. Es wurde viel gerufen durch das
Birkenhorn. Endlich gaben wir die Jagd auf und kamen um 9 ½ Uhr
zum Biwak zurück, wo die zurückgebliebenen Herren uns mit einem guten