Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

98 Aus den Jahren 1850 bis 1866 
beiden Ohren herunter ein Paket Perlenschnüre, eine Coiffure von Tüll 
auf dem Hinterkopf. Sie war mir durch eine Geschichte interessant, die 
ihr Ehre macht. Als Napoleon in Wilna war, trug sie von allen Damen 
allein die Chiffre der Kaiserin Marie. Napoleon fragte sie: „Qu'est-ee que 
ciest qdue cela?“ — „CGest le chiffre de S. M. ’Impératrice Marie.“ 
— „Cest bien, de le porter en face de Pennemi!“ soll Napoleon ge- 
antwortet haben. 
Den 15. waren militärische Uebungen auf dem Erxerzierplatze bei 
Wilna. Die Uebung der Infanterie war schon vorüber, als ich ankam, 
nur die Kavallerie stand auf dem Platz: zwei Husarenregimenter, zwei 
Ulanenregimenter und zwei Dragonerregimenter. Im ganzen etwa sechs- 
tausend Pferde. Erst wurde einzeln in Karriere defiliert mit Abschießen der 
Pistolen und Schwenken der Lanzen, dann wurde manöoriert. Sehr 
komisch war es, als eine Batterie gegen die Zuschauer angeritten kam, 
abprotzte und feuerte. Das aus Juden bestehende Publikum schrie „au 
weih!“ und stürzte übereinander. Eine große Frontveränderung sämtlicher 
Regimenter wurde mit großer Präzision ausgeführt. Die anwesenden 
Militärs fanden, daß dieses Kavalleriekorps ganz ausgezeichnet manöpvrierte. 
Nach dem Manöver fuhr ich mit Peter nach der Stadt, wo wir uns bei 
den fremden Fürsten einschrieben. 
Um 2 Uhr war die Eröffnung eines Tunnels durch den Kaiser. Die 
dazu eingeladenen Personen, darunter viele Damen, versammelten sich auf 
dem Bahnhofe, wo ein in maurischem Stile ausgeführtes provisorisches 
Bahnhofsgebäude von Holz die Gesellschaft empfing. Der Kaiser, sein 
Gefolge und viele Damen setzten sich in einen offenen Waggon, der kunst- 
reich gearbeitet war. Ich fuhr mit Peter, Leon Radziwill und zwei 
Generälen in einem andern Waggon. Am Tunnel angekommen, stiegen wir 
aus und folgten dem Kaiser zu Fuß in den durch Kronleuchter erhellten 
Tunnel. Die Geistlichkeit begleitete den Kaiser bis in die Mitte, wo er 
einen Stein einsetzte, auf den auch der Großherzog von Weimar einige 
Schläge tat. Letzterer führte dies mit vieler Grazie aus. Dann ging es 
im Geschwindschritt bis an das Ende des Tunnels und wieder zurück. 
Der Aufenthalt war nicht behaglich, da man ohne Hut ging und häufige 
Wassertropfen auf den Scheitel bekam. Der Rückweg wurde wieder mit 
der Eisenbahn genommen. Die überall aufgestellten Arbeiter begrüßten 
den Kaiser mit Hurrarufen. Eigentümlich war in Wilna das Hurra der 
Juden, das ganz dem Bläken der Schafe glich. Daß sie trotz ihrer loyalen 
Demonstrationen von der Polizei vielfach gestoßen und geprügelt wurden, 
versteht sich um so mehr, als ich nie ein unverschämteres Publikum ge- 
sehen habe als diese polnischen Juden, die sich überall wie wilde Tiere 
hinstürzen, auch wo sie gar nicht hingehören.
	        
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