Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

100 Aus den Jahren 1850 bis 1866 
verkennen. Seine Stellung dem Hofe, dem reaktionären Teile des Adels 
und der Konkordatspartei gegenüber macht ihm aber einen andern Weg 
unmöglich. Die Furcht vor dem Wort „Konstitution“ verleitet die Re- 
gierung und den Kaiser, sich nach und nach mehr abdringen zu lassen, als 
die freisinnigste Konstitution geben könnte, und dazu gewinnen sie nicht 
einmal den Dank der Bevölkerung. Man hofft Zeit zu gewinnen und, 
wenn die Umstände besser werden, dann um so energischer den Absolutis- 
mus wiederherstellen zu können. In diesem Mangel an Aufrichtigkeit 
liegt die eigentliche Gefahr. Doktrinäre des religiösen Absolutismus, ein- 
gesäumte aristokratische Kasinomitglieder, Hofschranzen ohne politische Ge- 
sinnung — das sind die eigentlichen Ratgeber des Kaisers. Jetzt ducken 
sie alle. Bald wird aber die Zeit kommen, wo sie entweder alle in der 
Revolution unterliegen oder in einer allgemeinen Reaktion siegen werden. 
21. Januar 1861. 
Heute bei Fries fand ich Fürst Jablonowski. Nach Tisch ward das 
kaiserliche Manifest an die Ungarn:) vorgelesen. Ich knüpfte daran die 
Bemerkung, daß es mir sonderbar erschiene, von ungarischer Nationalität 
im Gegensatz zur deutschen sprechen zu wollen, da die Ungarn doch wesent- 
lich deutsch seien. Keiner von allen, die ungarische Tracht tragen, spreche 
etwas andres als österreichisches Deutsch. Außerdem nahm ich Gelegen- 
heit, den Herren die Gefahr ihrer „historisch-politischen Individualitäten“ 
vorzuhalten. Jablonowski sagte, er erkenne keinen österreichischen Staat, 
sondern nur einen österreichischen Kaiser an. Wenn er dem Kaiser hätte 
raten können, so würde er geraten haben, dem Reichsrat nur beratende, 
den Provinzialversammlungen aber beschließende Stimme zu geben. Fries 
behauptete, die österreichische Monarchie sei so eigentümlich gestaltet, daß 
nur ganz besondere Institutionen dafür paßten. Ich bemerkte dagegen, 
daß mit ihrer Art, den Staat zu bilden, die Monarchie zerfallen werde; 
ich sei vor allem Deutscher und würde raten, sogar durch das demokratische 
Element die Reichseinheit aufrechtzuerhalten. Diese, die Demokratie, würde 
schon mit den Nationalitäten fertig werden. Darauf große Einsprache 
und Entrüstung. 
Es war interessant, die Ansichten der österreichischen Adelspartei zu 
hören. Sie halten fest an dem Diplom vom 20. Oktober und glauben, 
daß damit die Monarchie gerettet werden könne. Ein heilloser Irrtum. 
Die Regierung sieht den Irrtum ein, das heutige Manifest beweist dies. 
Allein nachdem das unglückliche Diplom einmal gegeben ist und damit 
  
1) Vom 16. Januar, welches sich gegen das revolutionäre Treiben in Ungarn 
richtete.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.