Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

Aus den Jahren 1850 bis 1866 101 
alle nationalen Leidenschaften entfesselt sind, wird das schwer werden, die 
Sache wieder in das Gleis zu bringen. 
Von einer Reichsversammlung mit allgemeinen Wahlen wollen die 
durch das Diplom begünstigten Nationalitäten nichts wissen. Ich glaube 
aber, daß man mit den Tschechen schon fertig werden könnte. Die Ungarn 
müßte man vorderhand außer Berechnung lassen, und die Polen würden 
sich am Ende auch fügen. Mir scheint, als wenn weniger das Volk der 
einzelnen nichtdeutschen Landesteile, als die Aristokratie aus Ehrgeiz einzelner, 
Beschränktheit anderer oder Doktrinarismus einiger Professoren an der 
Autonomie und dem Diplom festhält. 
Ich glaube, Schmerling ist meiner Ansicht und wird seinen Weg 
ruhig fortgehen. 
22. Januar 1861. 
Heute war ich bei dem großen Diner, welches zu Ehren des Generals 
Werder, der die Notifikation der Thronbesteigung König Wilhelms I. 
überbrachte, bei Hof gegeben wurde. Damen waren keine da, was durch 
die Abwesenheit der Kaiserin erklärlich ist. Es waren alle Notabilitäten 
des Hofs vertreten. Der Obersthofmeister Fürst Liechtenstein mit seinem 
weißen Schnurrbart, ganz wie ein alter Kater. Ferner der Obersthof- 
marschall Graf Kuefstein, ein Exdiplomat, der mir viel vom Wiener Kon- 
greß erzählte, da ich neben ihn zu sitzen kam. Graf Lanckoronski, Oberst- 
kämmerer, der Generaladjutant Graf Crenneville, ein sehr achtungswerter, 
anständiger Mann mit napoleonischen Zügen. Außerdem waren noch da 
Graf Grünne, Kriegsminister Graf Degenfeld, Graf Rechberg, Feldmar- 
schalleutnant Graf Henikstein und dann die preußische Gesandtschaft, 
sowie einige preußische Offiziere, welche dem General Werder zugeteilt sind 
und ihn begleitet haben. 
Der Kaiser machte nach dem Diner Cercle. Mit mir sprach er längere 
Zeit über die neapolitanischen Zustände, rühmte den Mut der Königin, #) der 
es hauptsächlich zu verdanken sei, daß sich der König so lang gehalten, ) und 
sprach seine lebhafte Indignation über das Benehmen der neapolitanischen 
Offiziere aus, durch welche die Königin im vergangenen Sommer verraten 
worden. Bei der freundlichen und natürlichen Art des Kaisers, zu sprechen, 
bedauerte ich innerlich, daß er diese Gabe seinen Untertanen gegenüber so 
wenig zu gebrauchen versteht. Es ist ihm nicht möglich, sich durch herab- 
lassendes Wesen populär zu machen, was bei einem kindlichen Volke, wie 
die Oesterreicher, von großer Bedeutung wäre. 
Heute den 30. war Bürgerball. Der Hof erschien gerade, als wir 
  
1) Der Schwester der Kaiserin von Oesterreich. 
2) Bis zur Kapitulation von Gaöta am 14. Januar.
	        
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