Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

102 Aus den Jahren 1850 bis 1866 
ankamen. Der Empfang war lautlos. Man merkte von seiten des 
Publikums die absichtliche Gleichgültigkeit und eine Art Unzufriedenheit. 
Der Kaiser blieb lange da, stand aber immer oben auf der Galerie und 
sprach mit dem Bürgermeister, statt im Saale herumzugehen und mit den 
Bürgern zu reden, wie König Ludwig und König Max es zu ihrem großen 
Vorteil tun. 
4. Februar. 
Heute hat Graf Rechberg das Präsidium des Ministeriums abgegeben 
und Erzherzog Rainer dasselbe übernommen. Rechberg bleibt Minister 
des Auswärtigen. Die Leute wissen noch nicht recht, was sie dazu sagen 
sollen. Die Stellung eines Erzherzogs als Ministerpräsident ist etwas 
sonderbar. Es scheint mir, daß man auf diese Art Rechbergs Rücktritt 
recht anständig machen wollte, d'avoir cédé le pas à un archiduc. 
Schmerling wird die Seele des Ministeriums sein, der Erzherzog den 
Namen hergeben. 
Der alte Graf Hartig, mit dem ich bei Bray eine lange Unterhaltung 
hatte, erzählte mir viel Interessantes. Er behauptet, man habe sich durch 
die Ungarn überlisten lassen, als man das Diplom vom 20. Oktober gab. 
Er hält wie ich das Diplom für einen Unsinn und meint, man werde 
bessere Zustände nur dadurch herbeiführen, daß man mehr Sicherheit und 
Stabilität in die Gesetzgebung bringe. Er glaubt, daß dies auch jetzt der 
Fall sein werde, und verspricht sich viel von den zu erwartenden organischen 
Einrichtungen. 
5. Tätigkeit in der Kammer der Reichsräte 1861. 
Emanzipation der Juden. 
Im April 1861 hatte der Fürst das Referat in der Kammer der 
Reichsräte über einen von der Zweiten Kammer ausgegangenen Gesetz- 
entwurf, betreffend die Aufhebung gewisser Beschränkungen der Freizügig- 
keit und des Gewerbebetriebs der Juden. Indem er diesen Gesetzentwurf 
zur Annahme empfahl, mußte der Fürst dem bei den Reichsräten er- 
hobenen Einwurf entgegentreten, daß bei zunehmender Gleichberechtigung 
der Juden der bayrische Staat aufhören werde, ein christlicher Staat 
zu sein, und an dessen Stelle der „nackte Rechtsstaat“ treten werde. Um 
hier zu einem richtigen Urteil zu gelangen, heißt es in dem Referat vom 
25. April 1861, „muß man sich vor allem über die Begriffe des christ- 
lichen und des Rechtsstaats klar werden“. 
Nach der im Mittelalter in ganz Europa verbreiteten Auffassung 
war der Staat der Kirche untergeordnet. Dieses Unterordnungs- 
verhältnis versuchte man aus der Begründung der Staatsgewalt durch
	        
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