Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

104 Aus den Jahren 1850 bis 1866 
das Christentum gegründet sind, weil unfre ganze moderne Gesittung, da 
wo sie überhaupt besteht, eine christliche, weil endlich das im Rechtsstaate 
nach voller Realisierung hinstrebende Sittengesetz kein anderes ist als das 
christliche. Man kann also gar nicht darüber streiten, ob der christliche 
Staat fortbestehen solle oder nicht, weil er besteht und bestehen wird, 
solange das Christentum die Religion des größten Teils seiner Mit- 
glieder ist. 
Der moderne Staat hat aber den mit einer wahrhaft christlichen An- 
schauungsweise unvereinbaren Begriff der Rechtlosigkeit irgendwelcher 
Individuen längst ausgemerzt und den Begriff des Staatsbürgertums, auf 
welchem unser heutiges Staatsleben vornehmlich basiert ist, über alle Unter- 
tanenklassen ausgebreitet, ohne daß deshalb, wie man allgemein wird 
zugestehen müssen, der christliche Charakter des Staats alteriert worden 
wäre. War aber im christlichen Charakter des Staats unserer Zeit kein 
Hindernis gegeben, den Nichtchristen die staatsbürgerlichen Rechte zu ver- 
leihen, so dürfte der Verleihung aller bürgerlichen Rechte an die Juden 
noch weniger ein gegründetes Bedenken entgegenstehen. Jeder moderne 
Staat kann, ohne seiner ganzen historischen Entwicklung untreu zu werden, 
den Juden die politische und rechtliche Gleichstellung mit den Christen nicht 
versagen. 
Die kurhessische Verfassungsfrage. Mai 1861. 
Der kurhessische Minister Hassenpflug hatte im Herbst 1851 die Unter- 
stützung des soeben wiederhergestellten Bundestags für den Umsturz der 
hessischen Verfassung vom 5. Januar 1831 erlangt. Nachdem der anfäng- 
liche Widerstand Preußens in Olmütz gebrochen war, beschloß der Bundes- 
tag am 27. März 1852, die kurhessische Verfassung vom 5. Januar 1831 
sei als unvereinbar mit den Bestimmungen der Wiener Schlußakte außer 
Wirksamkeit zu setzen. Ein von der kurhessischen Regierung in Gemein- 
schaft mit den Bundeskommissaren ausgearbeiteter Entwurf einer neuen 
Verfassung sollte nebst dem zugehörigen Wahlgesetze sofort als Gesetz ver- 
kündigt und demnächst den auf Grund dieses Wahlgesetzes zu bildenden 
Ständen „zur Erklärung“ vorgelegt werden. Die Verkündigung der neuen 
konstitutionellen Gesetze geschah am 13. April 1852. Aber trotz der rück- 
sichtslosesten Anwendung aller Machtmittel, welche diese Gesetze der Re- 
gierung gaben, gelang es dieser nicht, die nach dem oktroyierten Wahlgesetze 
gebildeten Kammern zu einer zustimmenden Erklärung zu bewegen, so daß 
der gesetzlose Zustand in Kurhessen noch ein Jahrzehnt lang fortdauerte. 
Am 15. Juli 1858 beantragte die hessische Regierung bei dem Bundestage, 
dieser möge von einer zustimmenden Erklärung der Stände absehen und 
die oktroyierte Verfassung von 1852 garantieren. Der Ausschuß der
	        
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