Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

Aus den Jahren 1850 bis 1866 107 
brauche mich deshalb nur zu beziehen auf Artikel 56 der Wiener Schluß- 
akte, welcher hier besonders in Betracht kommt. In diesem Artikel heißt es: 
Eine in anerkannter Wirksamkeit bestehende landständische Ver- 
fassung kann nur auf verfassungsmäßigem Wege wieder abgeändert 
werden. 
Dieser Artikel wurde durch den Bundesbeschluß von 1852 umgangen. 
Die Bundesversammlung glaubte sich hierzu durch die Interpretation be- 
rechtigt, daß unter dem Worte „verfassungsmäßig“ nicht die Landes- 
verfassung, sondern die Bundesverfassung zu verstehen sei. Ich brauche 
wohl dieser Interpretation nicht weiter entgegenzutreten. Sie ist nicht 
gerechtfertigt und mag wohl in neuerer Zeit von der Bundesversammlung 
selbst wieder aufgegeben sein. Da nun ein Bundesbeschluß vorliegt, der 
den Artikel 56 der Wiener Schlußakte außer acht läßt, so hat man daraus 
den Schluß gezogen, daß dadurch der Bestand der sämtlichen Verfassungen 
der deutschen Einzelstaaten in Frage gestellt sei. Ich teile diese Ansicht 
und glaube daher, daß Grund gegeben ist, sich gegen eine solche Gefährdung 
auszusprechen. Dies ist die Veranlassung, weshalb ich meinen Antrag, 
der aus zwei Teilen, der Verwahrung und einer Bitte an Seine König- 
liche Majestät besteht, eingebracht habe. Die Königliche Staatsregierung 
hat zwar in der Kammer der Abgeordneten die Berechtigung der Kammer 
in Zweifel gezogen, über einen Beschluß der Bundesversammlung in Be- 
ratung und Beschlußfassung zu treten; es wurde dagegen eingewendet, daß 
dies ganz außer der Kompetenz der Kammern liege, und unser sehr ver- 
ehrter Herr Referent hat eben wiederholt die Kompetenz der Kammern 
bestritten. Dies wäre ganz richtig, wenn der Bundesbeschluß in gar 
keinem Bezug zur bayrischen Verfassung stände. Dies ist aber nicht der 
Fall. Die Königliche Staatsregierung hat vielmehr mitgewirkt zur Fassung 
dieses Bundesbeschlusses, sie hat sich ferner zu den demselben zugrunde 
liegenden Prinzipien bekannt und könnte, wenn sie auch wollte, den Kon- 
sequenzen desselben sich nicht mehr entziehen. Denn ein Bundesbeschluß 
ist ein bindendes Gesetz, ich sage nicht für die einzelnen Staaten, sondern 
für die Regierungen, welche eben durch die Bundesverfassung genötigt sind, 
einen solchen Bundesbeschluß nach Möglichkeit zur Durchführung zu bringen. 
Wenn es nun der Majorität der Bundesversammlung gefallen sollte, 
wieder auf diesen Bundesbeschluß zurückzukommen oder einen auf gleichen 
Prinzipien basierenden Beschluß zu fassen, so würde keine deutsche Regierung 
in der Lage sein, sich dieser Majorität zu entziehen, und wenn dieser Be- 
schluß auf die bayrische Verfassung Bezug hätte, so würde auch die bayrische 
Regierung einem solchen Bundesbeschlusse in Anbetracht dieser Präzedenz 
nicht entgegenzutreten vermögen. Man sagt zwar, dies sei nicht möglich, 
weil die Verhältnisse bei uns nicht derart seien wie die kurhessischen Ver-
	        
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