Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

Aus den Jahren 1850 bis 1866 119 
Nun ging sie über auf die äußere Politik. Hier spiele die deutsche 
Frage die Hauptrolle. Man feinde sie persönlich deshalb an und ver- 
leumde sie. Ihr Standpunkt sei weder der eines unbeweglichen Still- 
stehens noch der einer Eroberungspolitik, sie stehe in der Mitte zwischen 
den Parteien, sie wolle jedem deutschen Fürsten seine Rechte erhalten, ohne 
doch auf der andern Seite ihr Ohr den dringenden Wünschen und Be- 
dürfnissen der Zeit zu verschließen. 
Nachdem sie geendet hatte, überlegte ich mir kurz, was sie eigentlich 
wolle. Klar wurde mir aber ihre Absicht noch nicht, doch glaubte ich am 
besten zu tun, ihr offen meine Ansicht zu sagen. Ich fing damit an, ich 
habe immer den alten Spruch 1) für wahr gehalten, den Dahlmann an 
die Spitze seiner Politik gestellt habe: „Man müsse die menschlichen Dinge 
nicht beweinen und nicht belachen, man müsse sie zu verstehen trachten."“ 
Ich könne deshalb den gegenwärtigen Zustand von Preußen durchaus nicht 
für so bedenklich ansehen. Ich bat sie, nicht zu vergessen, daß Preußen 
ein durch seine vierzigjährige Legislation gründlich demokratisiertes Land 
sei. Diese Demokratisation datiere aus einer Zeit, die das preußische 
Volk als seine schönste Zeit verehre. Ich wies auf das Ordensfest als 
ein echt preußisches, aber demokratisches hin. Wenn dieser Geist unter 
der Regierung des Königs Friedrich Wilhelm IV. zurückgedrängt sei, so 
sei dies eben nur ein Zurückdrängen gewesen, und mit der neuen Re- 
gierung, mit den Hoffnungen, die sie erregt, sei der alte demokratische 
Geist wieder kräftig hervorgetreten. Dies sei ein Grund der demokratischen 
Wahlen. Ein andrer Grund sei der, daß der Bauer und die übrigen 
steuerpflichtigen Untertanen geglaubt hätten, Demokraten würden eher ge- 
eignet sein, durch ihre Frechheit das Budget zu vermindern als Ministerielle. 
Wegen der Wahlen aber die Kammer aufzulösen, würde ich für einen 
großen Fehler ansehen. Es könnten im Laufe der Sitzungsperiode Um- 
stände eintreten, die einen solchen Schritt nötig machten, darüber könne 
ich mir ein Urteil nicht erlauben. 
Ferner machte ich die Königin darauf aufmerksam, daß das konstitutio- 
nelle Leben in Preußen erst seit ungefähr zehn Jahren existiere, daß 
manche Erscheinung, die man als eine politische Katastrophe ansehe, nichts 
weiter sei als ein Symptom des Entwickelungsprozesses, durch den wir 
in den süddeutschen Staaten schon viel früher hindurchgegangen seien. 
Der Kampf des Rechtsstaats mit dem feudalen Staate des Mittelalters 
sei in Preußen natürlich viel heftiger als anderswo. Es sei dies ein 
Kampf, der den Engländern noch bevorstehe, den die Kontinentalstaaten 
zum größten Teile bereits durchgekämpft hätten. 
  
1) Spinoza.
	        
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