Aus den Jahren 1850 bis 1866 123
Verbindung treten, wird auf die Dauer einen Zustand staatlicher Zer-
splitterung nicht ertragen, der es zum Spielball fremder Intrigen und
zum Spott fremder Nationen macht.
Hierin liegt die große Gefahr. Hieraus erklärt es sich, daß auch die
friedlichsten, konservativsten Leute in Deutschland dahin geführt werden,
zu erklären: wir müssen durch die Revolution zur Einheit kommen, weil
wir auf gesetzlichem Wege das Ziel nicht erreichen können.
Damit gewinnt die Demagogie die Allianz der ehrlichen Leute und
wird zu einer Macht, der keine Regierung gewachsen ist. Es fragt sich
nun: kann die Revolution, die zwar nicht in nächster Nähe bevorsteht,
die aber unvermeidlich ist, wenn nicht vorgebeugt werde, auf dem Wege
der Reform vermieden werden?
Die Projekte, welche bisher von den Regierungen ausgegangen sind,
um zur Reform des Bundes zu führen, sind durchaus unpraktisch. Das
Projekt des Herrn von Beust ) ist nichts als ein Schachzug gegen Preußen.
Ueberzeugt, daß Preußen nicht darauf eingehen wird, haben die Mittel-
staaten dieses wohlfeile Anerbieten gemacht, das sie zu realisieren nie
Gelegenheit haben werden.
Das Wort „großdeutsch" hat zwei Bedeutungen. Entweder heißt
es „eine große deutsche Republik“, in welche auch die deutsch-österreichischen.
Länder mitausgenommen werden sollen, oder es ist nichts als eine Phrase,
mit der Preußen entgegengearbeitet und der gutmütige Spießbürger in
Schlaf gehalten wird. Der großdeutsche Föderatiostaat kann in der Theorie
richtig sein, er ist aber unpraktisch und unmöglich. Er setzt das Aufgeben
gewisser Hoheitsrechte von seiten der Souveräne voraus, wozu sich diese
nur dann verstehen werden, wenn sie von der Revolution gedrängt sind;
käme es aber soweit, wäre die Revolution eine Macht geworden, die die
deutschen Fürsten zu irgend etwas drängen könnte, so würde sie sich nicht
mit dem Föderativstaat begnügen.
Ein praktisches großdeutsches Programm hat nie existiert und wird
nie existieren.
Der Antagonismus zwischen Preußen und Oesterreich kann beklagt,
aber nicht wegdemonstriert werden. Es ist ebenso unmöglich, daß Oester-
reich unter Preußen, wie daß Preußen unter Oesterreich stehe. Die
Monarchen und die Diplomaten können da nichts zu= und nichts abtun.
Die Völker wollen es nicht. Alles was man von der Wiederherstellung
eines Deutschen Reichs unter dem Hause Habsburg redet, ist eitel
Träumerei.
Will man aber keine großdeutsche Republik, sieht man ein, daß die
1) Siehe Seite 120.