Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

142 Aus den Jahren 1850 bis 1866 
Europas ausgeschlossen sehen. Diese Bevölkerung der Mittelstaaten und 
Kleinstaaten Deutschlands sieht sich in dem Zustand großjährig gewordener 
Männer, denen die Verwaltung ihrer eignen Angelegenheiten vorenthalten 
wird. Ein solcher Zustand wird auf die Dauer unerträglich. Man hat 
dagegen eingewendet, der materielle Zustand der Mittelstaaten sei ein 
befriedigender, und es sei eine Torheit, einen andern Zustand anzustreben, 
in welchem jedenfalls größere materielle Opfer als die bisherigen erfordert 
würden. Allein dieser Ehrgeiz oder, um es besser auszudrücken, dieses 
Bedürfnis nach Ehre und Ansehen ist ein Zeichen der Lebensfähigkeit des 
deutschen Volks, das Ehre und Ansehen höher stellt als das bloße materielle 
Genügen. Um also aus diesem Zustande herauszukommen, hat man im 
Jahre 1848 die sogenannte deutsche Einheit angestrebt. Denn diese Be- 
wegung begann in Südwestdeutschland. Sie hat sich als unpraktisch 
erwiesen, da weder Oesterreich noch Preußen sich einer idealen Macht 
unterwerfen konnten. 
Eine Partei hat sodann die preußische Hegemonie durchführen wollen. 
Sie ist an dem Ablehnen des preußischen Königshauses gescheitert. 
Jenes obenerwähnte Streben blieb aber bestehen, weil es auf einer 
tatsächlichen Grundlage beruhte. So fand sich die schleswig-holsteinsche 
Frage, die den deutschen Mittelstaaten und Kleinstaaten, wenn sie sich 
hätten einigen können, die Möglichkeit gewährt hätte, eine politische Stellung 
in Europa zu erringen. Das Volk glaubte den Augenblick gekommen und 
drängte die Regierungen. Diese, uneinig und unfähig, ließen den günstigen 
Augenblick vorübergehen. Als nun die deutschen Großmächte die Sache 
in die Hand nahmen, schwanden die politischen Hoffnungen, welche das 
süddeutsche Volk an die schleswig-holsteinsche Sache geknüpft hatte, ohne 
daß aber das Interesse an der Sache abnahm. Nun wandte sich die 
öffentliche Meinung wieder mehr Preußen zu, da man die Hoffnung hegt, 
Preußen werde nach den kriegerischen Erfolgen die Rechte der Herzogtümer 
nicht untergehen lassen. 
Das deutsche Volk hat seit 1848 in der politischen Bildung Fortschritte 
gemacht, es hat insbesondere warten gelernt. Es hat gelernt, daß man 
in politischen Dingen nicht mit dem Kopfe durch die Wand rennt. Es ist 
aber bei dieser Lage der Sache und bei der in Deutschland durchgängig 
herrschenden Stimmung unausbleiblich, daß die Folgen einer das Rechts- 
bewußtsein des Volks verletzenden Lösung der schleswig-holsteinschen Frage 
für Deutschland und insbesondere für die Existenz der Mittelstaaten und 
Kleinstaaten von den bedenklichsten Folgen sein würde. Nicht daß daraus 
ein sofortiger revolutionärer Ausbruch hervorgehen könnte. Dazu ist die 
Masse des Volks zu ruhig und zu schwer erregbar. Aber es würde eine 
Mißachtung der Regierungen, denen man einen großen Teil der Schuld
	        
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