Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

170 Aus den Jahren 1850 bis 1866 
Patriotismus und Volksstimmung kommen jetzt wenig in Betracht. Wollte 
man diese Eventualität vermeiden, so müßte man sich mit Preußen ver- 
ständigen, und dazu ist weder in Berlin noch in München große Lust. 
Die depossedierten deutschen Souveräne intrigieren an allen aus- 
wärtigen Höfen um Intervention des Auslands. Die offiziellen und 
nichtoffiziellen Agenten laufen sich die Beine ab. Das deutsche Volk hält 
Reden und schimpft, und unterdessen bereiten sich die Tatsachen ohne seine 
Mitwirkung vor, die es dann plötzlich vor sich stehen haben wird und zu 
denen es dann wird schweigen müssen und zahlen. So war es immer, 
und so wird es auch noch eine Zeitlang bleiben. 
München, 18. August 1866. 
Gestern war ich beim neuen Kriegsminister, 1!) um ihm meinen Gegen- 
besuch zu machen. Es ist ein eleganter Offizier, dem man es ansieht, 
daß er ein großes Vermögen, eine unabhängige Stellung und feine Bildung 
hat. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Lutz, der ein geschraubtes, un- 
gesundes Wesen hatte, macht er einen frischen, angenehmen Eindruck; und 
doch behauptet man, daß dieser Kriegsminister nicht die Fähigkeiten habe, 
die Armee neu zu organisieren. Was der bayrischen Armee fehlt, ist 
gründliche fachwissenschaftliche Bildung und die nötigen Bildungsanstalten. 
Man hat dies dem Prinzen Karl, wie mir der alte M. versichert, seit 
dreißig Jahren gepredigt, dieser fand aber die Bildung vollkommen genügend. 
Von den Berliner Friedensunterhandlungen erzählt man u. a. folgen- 
des: von der Pfordten sagte Bismarck, er begriffe nicht, warum man Bayern 
so harte Friedensbedingungen mache, da doch Sachsen, Württemberg und 
Hessen so günstige Bedingungen erhielten. Darauf sagte Bismarck: „Was 
wollen Sie? Für Sachsen verwendet sich Oesterreich, für Württemberg 
und Darmstadt Rußland — für Sie verwendet sich niemand!“ Eine 
bittere Kritik der von der Pfordtenschen Politik. 
Man hat sich hier les bonnes gräces des Kaisers Napoleon ver- 
schaffen wollen und hat Perglas nach Paris geschickt. Der ist aber gar 
nicht einmal von Napoleon empfangen worden, und seine Mission ist ge- 
scheitert. Wäre ich schadenfroh, so würde mich das freuen. 
Gestern ging das Gerücht, Bayern habe mit Preußen eine Allianz 
geschlossen und ihm hunderttausend Mann zur Verfügung gestellt, wogegen 
Preußen auf jede Gebietsabtretung und Geldentschädigung verzichtet habe. 
Nähere Erkundigungen ergaben aber, daß dies Gerücht erfunden war. Der 
König beschäftigt sich mit Erfindung von Dekorationen für die Oper „Wil- 
helm Tell“ und läßt sich Kostüme machen für Opern, die er dann anzieht 
  
1) Freiherr von Pranckh.
	        
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