Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

Aus den Jahren 1850 bis 1866 175 
und wehren sich dagegen; ebenso die ultramontane Partei, die aber mehr 
und mehr Boden verliert. Die Gegner von Preußen haben aber ein 
Gegenprojekt gegen den Anschluß nicht aufgestellt. Einen Anschluß an 
Oesterreich hat niemand vorgeschlagen, selbst die ultramontane Partei nicht, 
einen Anschluß an Frankreich und das Wiederaufleben des Rheinbundes 
wagt niemand vorzuschlagen; für den südwestdeutschen Bund erhebt sich 
keine Stimme, ebensowenig glaubt jemand, daß Bayern allein bleiben könne. 
Trotzdem wird mir ohne Zweifel meine Rede in der Hofpartei und von 
den Ultramontanen sehr übelgenommen werden. Meine Chancen für das 
Ministerium werden dadurch sehr vermindert. Da ich nun aber doch ein- 
mal den Ruf eines Preußenfreundes habe und dieser Ruf auch durch meine 
politische Vergangenheit gerechtfertigt wird, so war für mich keine Wahl, 
als dieser Ansicht treu zu bleiben und sie offen zu vertreten, um so mehr, 
als ich die ganze Kammer der Abgeordneten hinter mir habe. In der 
Kammer der Reichsräte war die Opposition gegen mich sehr schwach. 
Pfordten hatte wegen des von einem bayrischen Soldaten ermordeten 
preußischen Offiziers 1) ein Telegramm unfreundlichen Inhalts von Bismarck 
erhalten und bat die Reichsräte, ja nicht zu heftig gegen Preußen auf- 
zutreten. So fand ich wenig energische Opposition in der Kammer, und 
Pfordten war die preußisch gefärbte Rede recht angenehm. In der ultra- 
montanen Presse, namentlich im „Volksboten“ und im „Neuen bayrischen 
Kurier"“ werde ich ohne Zweifel recht geschimpft werden. 
Man hofft hier in ultrabayrischen Kreisen durch Hinziehen und Ab- 
warten noch etwas zu gewinnen. Man glaubt immer noch, daß es möglich 
sein werde, Bayern selbständig zu erhalten. Man hofft wie die Familie 
Micawber in „David Copperfield“, „that something will turn up“. Dar- 
über vergeht die Zeit, und Bayern geht so ganz langsam seinem Unter- 
gang entgegen. Wenn man sich zu entscheidenden Unterhandlungen mit 
Preußen entschließen könnte, so würde man jetzt noch eine ganz erträgliche 
Stellung für König und Land erreichen können. Das wird man aber nicht 
tun und bei der ersten großen europäischen Krisis irgend jemand zur Beute 
fallen. Ich habe wenigstens meine Meinung gesagt. 
München, 11. Oktober 1866. 
Meine Reise nach München ist in einen recht interessanten Moment 
gefallen und war mir zur Orientierung sehr nützlich. Gleich bei meiner 
Ankunft ließ ich Dr. Schanzenbach 2) rufen, um Philipp Ernsts Knie zu 
  
1) Ein bayrischer Soldat hatte aus einem Eisenbahnwagen heraus einen 
preußischen Offizier erschossen. 
2) Angesehener Arzt, der sich der Kundschaft der vornehmen Gesellschaft erfreute.
	        
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