180 Aus den Jahren 1850 bis 1866
für die Selbständigkeit des Throns und die Unabhängigkeit des Landes
erblicken zu können. Das Uebergewicht Preußens in Deutschland ist seit
dem Austritt Oesterreichs aus dem Bunde und seit der Vergrößerung
Preußens eine Tatsache. Das vergrößerte Preußen beherrscht den deutschen
Norden, steht an der Spitze von dreißig Millionen Einwohnern und ver-
fügt über eine Armee von nahezu achthunderttausend Mann. Ein Freund-
schaftsbündnis zwischen Bayern und dem deutschen Norden ist die Allianz
eines Stärkeren mit einem Schwächeren, die gerade so lange von Preußen
respektiert wird, als dies im Interesse Preußens liegt.
Anders ist es mit einem Verfassungsbündnisse, welches, wie
die Erfahrung zeigt, dauernde Garantien bietet. Was dem Deutschen
Bunde trotz seiner Mängel eine fünfzigjährige Dauer gewährte, war sein
Charakter als Verfassungsbündnis. Und obgleich Preußen seit Jahr-
zehnten an dessen Auflösung gearbeitet hat, konnte die Zerstörung des
Bundes nur durch das Zusammentreffen außerordentlicher Umstände erreicht
werden. Bayern hat auch bisher nie ohne den Schutz eines solchen Ver-
fassungsbündnisses bestanden, denn der deutsche Reichsverband sowohl wie
der Rheinbund können als solche gelten.
Nun soll aber das Experiment der selbständigen Stellung in einem
Augenblicke versucht werden, in welchem die Existenz der Mittelstaaten,
abgesehen von allem andern, schon durch das Streben der Völker nach
großen Staatenbildungen und durch die prekäre Lage Europas überhaupt
gefährdet erscheint.
Wäre Bayern ein Staat, der sich selbst genügte und selbst genügen
könnte, so wäre die Gefahr geringer. Allein, würde sich Bayern selbst
genügen können in politischer Beziehung im Falle einer Bedrohung seiner
Grenzen?
Würde es, auf eigne Kraft angewiesen, auch nur die Pfalz gegen
Frankreich verteidigen können?
Ebensowenig genügt es sich selbst in der Regelung der volkswirt-
schaftlichen Verhältnisse. Wenn sich der Zollverein auf Norddeutschland
zurückzöge und sich gegen den Süden abschlösse, so bliebe ihm immer noch
ein Gebiet von dreißig Millionen. Diese Maßregel könnte aber die
Industrie Bayerns nicht ertragen. Wenn der Norddeutsche Bund in
bezug auf die Regelung des Verkehrs, auf Eisenbahnen, Post= und
Telegraphenwesen, auf Münze, Maß und Gewicht gemeinschaftliche Ein-
richtungen trifft, wenn für Zivilrecht und Strafrecht eine einheitliche
Gesetzgebung entsteht, und wenn Bayern von all diesen Vorteilen aus-
geschlossen bleibt, so wird damit eine Anziehungskraft auf die süddeutsche
Bevölkerung ausgeübt, deren Folgen sich nur zu bald erkennen lassen
werden.