Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

Aus den Jahren 1850 bis 1866 181 
Man hat in letzter Zeit mit gewisser Beruhigung auf Belgien und 
die Schweiz hingewiesen, um die Möglichkeit des Bestehens für Bayern 
als alleinstehender Staat nachzuweisen. Allein man vergißt dabei, daß 
die Schweiz und Belgien teils abgegrenzte, teils bestimmt ausgeprägte 
Nationalitäten sind, die sich in dieser Absonderung wohl fühlen und darin 
durch manche äußeren Umstände unterstützt werden, die Bayern fehlen, 
insbesondere aber, daß sie durch keine Nationalsympathien zu einem größeren 
Ganzen hingezogen werden. 
Dies führt mich aber zu der größten Gefahr, die der bayrischen 
Selbständigkeit droht. Das bayrische Volk, darüber darf man sich keiner 
Illusion hingeben, ist von dem Einheitstrieb, der alle deutschen Stämme 
erfaßt hat, durchdrungen. Dieser, wie das Rundschreiben sich ausdrückt, 
„seit Dezennien erwachte Einheitstrieb“ ist durch zahlreiche Kundgebungen 
der deutschen Regierungen gepflegt und gefördert worden. Der Antrag 
der Kammer der Abgeordneten vom 30. August hat diesem Streben aber- 
mals Ausdruck verliehen. 
Bei einer eintretenden Katastrophe, etwa bei dem Tode des Kaisers 
der Franzosen, werden die revolutionären Elemente wieder in den Vorder- 
grund treten. Das Streben der deutschen Bevölkerungen nach Einigung 
wird in einem solchem Falle Dimensionen annehmen, die gar nicht zu be- 
rechnen sind. Schon jetzt gewinnt diese Stimmung in Süddeutschland 
mehr und mehr Boden. Jetzt ist es noch möglich, sich auf den parti- 
kularistischen Geist der süddeutschen Bevölkerung zu stützen, um die parti- 
kulare Selbständigkeit in gewissem Grade zu erhalten. Jetzt ist die Ab- 
neigung der Süddeutschen gegen Preußen und ihre Anhänglichkeit an die 
angestammten Fürstenhäuser noch stark genug, um, gestützt auf diese Ele- 
mente, günstige Bedingungen beim Abschlusse eines neuen Bundesvertrags 
zu erlangen. Diese Stimmung wird aber nicht immer dauern, deshalb 
wäre sie jetzt zu benutzen, und zwar bei der Beratung eines neuen deutschen 
Verfassungswerks. 
Wenn es allgemein anerkannt wird, daß durch die Auflösung des 
Deutschen Bundes die Existenz der Mittelstaaten bedroht ist, wenn es Pflicht 
eines Ministers Seiner Majestät des Königs ist, diesen Gefahren entgegen- 
zutreten und die Rechte des Monarchen und seine Selbständigkeit zu ver- 
teidigen, so müssen die Wege eingeschlagen werden, die diesen Zweck am 
sichersten erreichen und die Krone auf möglichst lange Zeit hinaus vor 
äußeren und inneren Angriffen bewahren. Das Rundschreiben sagt mit 
vollem Recht, „daß die Mittelstaaten nicht sowohl durch ihre Macht, als 
durch ihre geschichtlichen und vertragsmäßigen Rechte existieren“". Darum 
gebietet es aber die Pflicht der Selbsterhaltung, sich sobald als mög- 
lich wieder auf den Boden vertragsmäßiger Rechte zu stellen.
	        
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