254 Das bayrische Ministerium (1867 bis 1870)
der Straße die Entrevue mitansehen konnten. Der Prinz bat den Sultan,
einen Augenblick auf den Balkon zu treten, um sich den Leuten zu zeigen.
Es wurde dann etwas Hoch gerufen, doch mehr aus Scherz als aus irgend-
welcher Sympathie für den Sultan, die man auch den Nürnbergern in
keiner Weise zumuten kann.
Die Konversation wurde wieder durch Ferad Pascha geführt. Der
Sultan hat ein blasiertes, skeptisches, aber freundliches Wesen. Sehr viel
Bewußtsein seiner Würde. Er macht ganz den Eindruck wie ein polnischer
Gutsbesitzer. Sein Tarbusch ist anders als die, welche ich im Orient ge-
sehen habe. Es scheint, daß die Mode sich geändert hat. Die jetzigen
roten Mützen haben die Form umgestülpter kleiner Blumentöpfe und sind
sehr häßlich. Er trug einen schwarzen Anzug wie ein protestantischer
Pfarrer, der kleine Prinz von zehn Jahren ebenso. Auf dem Bahnhof,
wohin wir uns nach dem Besuch begaben, wurde der Kleine herbeigeholt
und saß mit sehr ernster Miene vor Prinz Adalbert.
Hier dauerte die Konversation noch geraume Zeit. Endlich kam die
Meldung, daß alles fertig sei. Der Prinz begleitete den Sultan bis an
den Waggon, dort wurde Abschied genommen. Der Sultan gab auch mir
noch die Hand, stieg ein, und nach einigem Zögern fuhr der Zug ab. Auf
dem Weg vom Gasthof zum Bahnhof fuhr ich wieder mit Ferad Pascha.
Ich fragte ihn nach seinen politischen Eindrücken. Er meinte, man sei all-
gemein sehr friedlich gesinnt. Nur die schleswigsche Frage habe ihn etwas
beunruhigt. Der König von Preußen habe sich aber in sehr friedlicher
Weise geäußert. ·
Mir sagte er in seiner orientalischen Manier viel Schmeichelhaftes,
daß er sich gefreut habe, „un des hommes les plus distingués de l'Alle-
magne“ kennen gelernt zu haben, wofür ich ihm dann die Erwiderung
an den Kopf schleuderte, daß ich sehnlichst gewünscht hätte, „de faire la
connaissance de Phomme d’Etat qui depuis bien des années avait pu
conduire la politigue de Empire Ottoman avec tant de talent et de
succès“. Schließlich beauftragte mich Prinz Adalbert, ihm ein Telegramm
aufzusetzen, um dem König das Resultat unfrer Mission und die „remerci-
ments sincèeres“ des Sultans auszusprechen.
Dann um 1 Uhr Diner und 420 Uhr Abreise nach München, wo-
mit diese sehr interessante Episode schloß.
Von König Otto keine bessere Nachricht.
Auf der Rückreise nach Nördlingen erhielt ich das Telegramm, daß
König Otto um 6¼ Uhr Abends gestorben sei.
München, 5. August 1867.
Gestern war ich um 12 Uhr nach Berg zum König bestellt. Ich fand
auf der Eisenbahn den reußischen Gesandten Herrn von Schmertiing,