18 Aus der Jugend (1819 bis 1847)
das nur bei wohlgezogenen Leuten oder in der großen Welt finden. Mein
Umgang beschränkt sich mehr oder weniger auf sogenannte ffell mich ghor-
samscht", zu denen sogar die höchsten Damen, Exzellenzen u. s. w. gehören
(mit rühmlichen Ausnahmen). Eine schöne Witwe .. 21 Jahre alt, die
eine recht schöne Altstimme hat, gefällt im ersten Augenblick. Aber wie
sich bei aufmerksamem Zuhören in ihrem Gesange der Mangel an guter
Schule entdeckt, so fand ich bald in ihrem Wesen eine gewisse pachters-
töchterliche (verzeih diesen Ausdruck) Gewöhnlichkeit, untermischt mit senti-
mentaler Belesenheit und englischer Sprachkenntnis, die mir als solche
Mixtur noch unangenehmer ist als die gewöhnliche Natur der Landkonfekte,
die nichts andres sein können und wollen. Die alten Damen sind nun
gar langweilig, und ich vermisse die Konversation mit meinen Berliner
Freundinnen, wie Frau von Luck u. a. Unter den Herren und überhaupt
in der ganzen Gesellschaft herrscht bei allen Vorzügen rheinischer Gut-
mütigkeit ein gewisser Wirtshauston, der mir zuwider ist. Das einzige,
was mich tröstet, ist die Musik. Die wird viel getrieben, und die vergnüg-
liche Frau .. und ihre Schwester . singen und spielen in jeder Gesell-
schaft von Anfang bis zu Ende, dann wird einmal ein Chor oder Trio
oder Quartett oder sonst etwas gesungen und Maitrank getrunken, so
geht's hier zu, und man kann ganz vergnügt sein. Mein Gesangstalent
ist noch nicht entdeckt. Ich nehme jetzt fleißig Singstunden und werde
dann nach einiger Uebung plötzlich als der einzig vernünftige Bariton hier
auftreten und alles bezaubern. Mein Lehrer ist nicht so übel, er läßt mich
Solfeggien von Cherubini singen, bläut mir die Noten ein und gibt sich
manche Mühe, so daß ich in zwei Monaten vom Blatt singen werde.
Denke dir, welche Lust! Auch lerne ich die Tonarten begreifen, B-dur,
C-dur und die Molltöne, halbe und ganze Vorzeichen u. s. w. So daß
ich bald so weit sein werde, Lieder zu komponieren, die Begleitung muß
mir dann mein Lehrer machen.
Ich bin gestern in Neuwied gewesen und kann nicht genug die guten
Leute dort rühmen. Statt daß ich, wie ich gefürchtet hatte, wegen meines
Auskultators schief angesehen worden wäre, sehen mich die Leute im Gegen-
teil mit einer Art von Staunen als ein besonders merkwürdiges Subjekt
an. Dies hat mich nun noch mehr beruhigt. So ist der Mensch. Er
will immer ein wenig von außen beruhigt sein und sollte doch zufrieden
sein, wenn er sich seines guten Willens bewußt ist. Der Fürst 1) hat etwas
sehr Interessantes in seinem leidenden Gesicht. Von der blassen Toten-
farbe stechen die schönen Augen ganz merkwürdig ab; er soll sehr talent-
voll sein, schön zeichnen u. s. w. Ich habe ihn nur vom Sehen lieb-
1) Fürst Hermann zu Wied (1814 bis 1864).