290 Das bayrische Ministerium (1867 bis 1870)
zu weitläufigen Debatten und möglicherweise zu weitgehenden Vorschlägen
in der Abgeordnetenkammer führen könnte, während der Entwurf in der
kurzen Fassung, die ihm gegeben wurde, zwar den dringendsten Bedürfnissen
Rechnung trägt, aber im großen ganzen die Grundlage der verfassungs-
mäßigen Institution der Ersten Kammer unangetastet beläßt.
Der Entwurf über die Beschlußfähigkeit der Kammer der
Reichsräte gründet sich, wie die Motive näher ausführen, auf einen
von hervorragenden Mitgliedern dieser Kammer bereits früher gestellten
Antrag und wird einem höchst dringenden Bedürfnisse abhelfen.
Der treugehorsamst Unterzeichnete glaubte, ehe in dem Ministerrate die
in Frage stehenden Entwürfe, welche als von dem Gesamtstaatsministerium
ausgehend den Kammern vorzulegen sein dürften, einer Beratung unter-
zogen würden, vorerst die Befehle Seiner Königlichen Majestät einholen
zu sollen und erlaubt sich demnach den allerehrfurchtsvollsten Antrag zu
stellen, Eure Königliche Majestät möchten die Beratung der sechs an-
liegenden Entwürfe im Ministerrate Allerhöchst anzuordnen geruhen.
Aus den Motiven der Gesetzentwürfe sei folgendes mitgeteilt:
1. Abänderung des Fideikommißedikts.
Man kann darüber zweifelhaft sein, ob das Institut der Fidei-
kommisse, wie solches in der bayrischen Verfassung hergestellt ist, an sich
zweckmäßig und daher neu einzuführen wäre. Allein darüber besteht wohl
kein Zweifel, daß, wenn das Gesetz die Errichtung von Fideikommissen
einmal zuläßt, die Beschränkung desselben auf den Adel weder mit den
materiellen Verhältnissen noch mit den Ansichten der Gegenwart über die
Gleichheit vor dem Gesetze im Einklang steht. Wenn deshalb die Staats-
regierung diese Anomalie zu beseitigen strebt und durch Aufhebung des
bisherigen Vorrechts der adligen Familien jedem die Befugnis einräumt,
sein Eigentum in der bisher nur dem Adel möglichen Form zugunsten
der Familie zu binden, so wird dies keinenfalls als unbillig oder unzeit-
gemäß angefochten werden können.
Aber auch nicht als unbillig oder indifferent erscheint eine solche Aus-
dehnung des Fideikommißrechts, denn es wird dadurch dem bürgerlichen
Grundbesitz der Eintritt in die Reichsratskammer geöffnet, es hört das
Institut der erblichen Reichsratswürde auf, ein Privilegium des Adels
zu sein, und wird Gemeingut der ganzen Nation.
2. Gesetzentwurf über die Verleihung der erblichen Reichsratswürde
an im Gesamtbesitze befindliche Personen.
Die Verfassungsurkunde geht nicht nur von dem Prinzip aus, daß
fideikommissarischer Verband des Grundbesitzes ohne gleichzeitige Herr-
schaft des Erstgeburtsbesitzes unzulässig sein solle. Dieselbe will auch,