338 Das bayrische Ministerium (1867 bis 1870)
Es versteht sich dabei von selbst, daß Preußen die Aufnahme Gesamt-
österreichs mit Ungarn bewilligen und daß es die Interessen Oesterreichs
an der unteren Donau zu den seinigen machen, sich also zu einer sehr
großartigen Politik emporschwingen müßte. Ich weiß, daß Bismarck
darauf antworten würde: „Ich kann nicht die russische Allianz aufgeben
gegen Eintausch eines Bundesgenossen, dessen ich nie sicher bin.“
Allein hier kommt es wieder auf den Unterschied zwischen Allianz
und staatsrechtlichem Bund an, und die Bedenken Bismarcks würden
zurücktreten, wenn es gelänge, die deutschen Verhältnisse in einer dauernden
Art definitiv zu regeln.
Hier liegt ein Problem vor, welches ich heute noch nicht gelöst habe,
dessen Lösung ich aber als eine Notwendigkeit, als etwas nicht zu Um-
gehendes ansehe.
Es fragt sich nur, zieht Preußen den unvermeidlichen Krieg mit Frank-
reich mit allen seinen Gefahren, dem Aufgeben der Inkorporation Süd-
deutschlands in den Nordbund vor? Mit andern Worten: Verzichtet
Preußen darauf, die Mainlinie zu überschreiten, gegen den Vorteil
der dauernden Konstituierung seiner gegenwärtigen Macht? Tut Preußen
dies, so ist die Frage lediglich die der Formulierung eines Verfassungs-
projekts. Will aber Preußen oder kann es auf dem bisherigen Wege nicht
umkehren, so wird es auch auf keinen Schritt eingehen, der jenen Verzicht
unbedingt voraussetzt.
Hier ist aber weniger Graf Bismarck maßgebend als die öffentliche
Stimmung und namentlich die Stimmung im Lager der nationalliberalen
Partei. Ich würde daher bitten, erst die Aeußerungen dieser Kreise auf-
merksam zu verfolgen, ehe Sie sich mit Bismarck oder andern offiziellen
Persönlichkeiten in ein wenn auch noch so allgemeines Gespräch wieder
einlassen.
Solange das preußische Volk und die dasselbe leitende national-
liberale Partei alles eher aufs Spiel setzen, als auf den Weg der Herr-
schaft „des Adlers vom Fels zum Meer“ verzichten will, 1) so lange wird
Bismarck sich auf nichts einlassen, so lange ist auf eine Umkehr nicht zu
rechnen.
1) Emanuel Geibel war in jenen Tagen die Pension, welche er aus der
Königlichen Kabinettskasse bezog, und die Münchner Ehrenprofessur entzogen worden,
weil er den König Wilhelm bei dessen Besuche in Lübeck mit einem Gedichte be-
grüßt hatte, das mit den Worten schloß:
Und sei's als letzter Wunsch gesprochen,
Daß noch dereinst dein Aug es sieht,
Wie übers Reich ununterbrochen
Vom Fels zum Meer dein Adler zieht.