Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

Das bayrische Ministerium (1867 bis 1870) 357 
die Aeußerungen des Herrn Erzbischofs von Scherr weit über den Gesetz- 
entwurf sowie über die bestehenden Verhältnisse hinaus. Diese Beschlüsse 
gehen zum Teil wohl aus dem grundsätzlichen Bestreben hervor, der Kirche 
den vorwiegenden, wenn auch nicht ausschließlichen Einfluß auf die Volks- 
schule zu vindizieren, ein Bestreben, das auch in dem Breve Seiner Heilig- 
keit des Papstes Pius IX. an den Erzbischof von Freiburg vom 14. Juli 
1864 seinen sehr bestimmten Ausdruck gefunden hat. Hier nun begegnen 
sich zwei entgegengesetzte Strömungen. Denn, wenn die Kirche die un- 
beschränkte Einwirkung auf den Volksunterricht in Anspruch nimmt, so 
kann anderseits der Staat seine Rechte auf die Leitung der Volksbildung 
und -erziehung ebensowenig aufgeben. Könnten wir freilich von einer 
idealen Auffassung des Staats und der Kirche ausgehen, so müßten wir 
zu der Folgerung kommen, daß es für den Staat nur erwünscht sein 
kann, wenn der Kirche, der Spenderin des Heils und des Trostes, der großen 
Erzieherin des Menschengeschlechts, ein möglichst großer Einfluß auf die 
Volkserziehung eingeräumt würde. Allein wir stehen nicht auf einem 
idealen Standpunkt, sondern auf dem Boden des positiven Verfassungs- 
rechts, und dieses allein ist für uns maßgebend. Dieses Verfassungsrecht 
ist der Ausdruck der Idee des modernen Staats, wie er sich aus dem 
politischen Leben der Nation entwickelt hat und an welchem das bayrische 
Volk festhalten will. Ich weiß wohl, daß der Ausdruck „moderner Staat" 
in gewissen Kreisen perhorresziert wird, allein ich wüßte keinen andern 
Namen für den Staat, der dazu berufen ist, unser ganzes Kulturleben 
zu schützen und zu pflegen und der den christlichen Glauben nicht gefährdet, 
sondern nur gefördert hat, wie mir selbst die hier anwesenden Mitglieder 
des hohen Klerus bestätigen werden, wenn ich sie verweise auf die groß- 
artigen Kundgebungen katholischer Gesinnungen, welche in neuerer Zeit 
stattgefunden haben. Die Schwierigkeit für ein harmonisches Zusammen- 
wirken beider Gewalten, der Kirche und des Staats, liegt aber meines 
Erachtens darin, daß in neuerer Zeit Aeußerungen kundgegeben sind, die 
eine Abneigung der in der Kirche zurzeit herrschenden Partei gegen den 
Staat erkennen lassen. 
Ich erinnere Sie an die Enzyklika Gregors XVI. „mirari vos“, 
welche die gesetzliche Sicherstellung der Gewissensfreiheit eine „sententia 
erronea et absurda“, ein „deliramentum“, eine irrige und absurde 
Meinung, einen Wahnsinn nennt. Ich erinnere Sie an die Enzyklika 
vom 8. Dezember 1864, welche die Freiheit des Kultus zu den verdammens- 
werten Irrtümern rechnet, ich erinnere endlich an die Stelle derselben 
Enzyklika, welche aufs bestimmteste in Abrede stellt, daß der Papst sich 
je mit dem Fortschritt, je mit dem Liberalismus und je mit der modernen 
Zivilisation versöhnen und vergleichen könne.
	        
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