Das bayrische Ministerium (1867 bis 1870) 367
künftigen Kammert!) vollständig bekannt ist, ergibt sich, daß in derselben
vertreten sein werden: 1 Mitglied der Volkspartei, 56 Mitglieder der
Fortschrittspartei, 20 Mitglieder der Mittelpartei, sonach 77 Liberale und
77 von der klerikalen Partei vorgeschlagene Kandidaten.
Der Regierung konnte dieses Resultat nicht unerwartet sein; es ist
eine bekannte Erfahrung im politischen Leben, daß in erregten Zeiten, und
wenn sich die Bestrebungen der Parteien in leidenschaftlicher Weise ge-
steigert haben, stets die Extreme von einem gewissen äußerlichen Erfolg
begleitet sind und diejenigen Parteien, welche mit Ruhe und Besonnenheit
vorangehen wollen, für eine Zeitlang in dem Wahlkampfe in der Minder-
heit bleiben.
Bei der großen Rührigkeit, insbesondere der klerikalen Richtung, bei
den bedeutenden Mitteln zur Agitation, über welche sie verfügt, wäre
sogar ein Sieg dieser Partei keineswegs unmöglich gewesen und war sogar
von verschiedenen Seiten erwartet worden. Um so mehr kann die Regie-
rung sich damit zufrieden erklären, daß es ungeachtet aller Anstrengungen
ihren Gegnern nicht gelungen ist, die Majorität in der Kammer zu er-
langen, und daß selbst das gegenwärtige Resultat nur dadurch erreicht
werden konnte, daß die antiliberale Richtung, um deren Sieg es sich im
Schoße dieser Partei eigentlich handelte, mittels der vorgeschobenen Sorge
für die Selbständigkeit der Krone und des Landes und mittels der wohl-
benutzten Abneigung der Mehrheit des Volkes gegen eine Unterwerfung
unter preußische Oberhoheit maskiert wurde. Die ausgesprochene An-
schauung der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung aber, nicht in den
Norddeutschen Bund eintreten zu wollen, kann die Regierung nur als
eine — wenn auch von den gegnerischen Führern nicht beabsichtigte —
Zustimmung zu der von ihr bisher verfolgten Politik ansehen, denn gerade
dieser Grundsatz war es, der die äußere Politik Bayerns bisher leitete,
und welchen zu verlassen das Ministerium weder Anlaß noch Neigung
gehabt hätte. Dagegen hat es selbst die extremste klerikale Richtung nicht
gewagt, mit einem Programm aufzutreten, welches den Bruch der Allianz-
verträge, eine Anlehnung an eine fremde Macht oder auch nur eine inter-
nationale Politik gefordert hätte, vielmehr haben selbst die ausgesprochensten
Feinde des Ministeriums für notwendig gehalten zu betonen, daß auch sie
eine nationale Verbindung mit den norddeutschen Stammesgenossen anstreben.
Ueberdies hat sich gezeigt, daß jedenfalls in den Städten und in einem
großen Teile des Landes die klerikale Richtung überhaupt keinen Boden hat.
Unter diesen Umständen ist dem gegenwärtigen Ministerium sein Ver-
halten klar vorgezeichnet. Dasselbe hat keine Veranlassung, solange Seine
1) Die Wahlen hatten am 20. Mai stattgefunden.