Das bayrische Ministerium (1867 bis 1870) 369
und ähnliche, auch mehrere Fortschrittler. Arco-Valley verspätete sich in
Altenburg und mußte zurückbleiben.
In Berlin fand ich Viktor, Perglas und das Personal der Gesandt-
schaft. Ich fuhr mit Viktor ins Hotel, zog mich schnell an und fuhr
dann um 2 Uhr zu der Eröffnung des Zollparlaments, welche ohne alle
Zeremonie im Weißen Saal durch Delbrück geschah. Wir waren im Frack.
Nachher war eine Sitzung, in der nur Formalien abgemacht wurden.
4. Juni 1869.
Gestern bei der ersten Sitzung wurde ich von vielen alten Bekannten
begrüßt, u. a. von dem im Reichstag berühmten Finanzredner Benda, der
mit mir vor fünfundzwanzig Jahren bei der Regierung in Potsdam war.
Er hat sich seit jener Zeit so verändert, daß ich ihn nicht wiedererkannt
hätte. Damals ein junger schöner Mann mit schwarzen Locken, jetzt ein
alter Professor mit grauem Haar und ohne Zähne. Andre sind wieder
gar nicht verändert. Ich mache die Erfahrung, daß leidenschaftliche
Charaktere am schnellsten alt werden, während ruhige Naturen die äußere
Hülle am wenigsten abnutzen und sich deshalb „konservieren“.
Eben komme ich aus der Sitzung, in der ich wieder zum ersten Vize-
präsidenten gewählt worden bin. Ich war bis zum letzten Augenblick
zweifelhaft, ob ich mich bei meiner Antwort auf wenige Worte beschränken
oder etwas mehr sagen sollte. Nun zeigte ich Viktor die Rede, wie ich
sie aufgesetzt hatte und wie ich sie dann wirklich gehalten habe, und dieser
riet mir unbedingt dazu, da sie auf die Versammlung den besten Eindruck
machen werde und es mir am Ende gleichgültig sein könne, was die
ultramontane Partei, mit der ich es doch verdorben hätte, dazu sage.
Was Viktor vorausgesagt hatte, war auch der Fall. Meine Rede wurde
lebhaft begrüßt und hat mir meine Position verstärkt. Ich wurde nachher
vielfach behändedrückt. Bei der Lage der Dinge, wie sie sich nach und
nach gestaltet, ist es notwendig, immer klar zu sagen, was man denkt,
und nur nie sich dem Vorwurf auszusetzen, daß man nicht den Mut habe,
seine Ueberzeugung zu bekennen. Simson wurde wieder zum ersten Präsi-
denten und Hugo zum zweiten Vizepräsidenten gewählt.
Rede.
Indem Sie mich zum zweiten Male zu Ihrem Vizepräsidenten er-
wählen, erweisen Sie mir eine Ehre, für welche ich Ihnen zu aufrichtigem
Danke verpflichtet bin. Diese Ehre ist um so größer, als ich im ver-
gangenen Jahre nicht Gelegenheit hatte, Beweise für meine Befähigung
zu dem mir übertragenen Amte abzulegen. Wenn Sie mir heute dessen-
ungeachtet Ihre Stimmen geben, so bin ich berechtigt, das Motiv Ihres
Fürst Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. 1 24