30 Aus der Jugend (1819 bis 1847)
aufrichtig gegen mich selbst geworden und strebe nun, auch gegen andre
ebenso aufrichtig zu sein. Die Lüge hat nie in meiner Natur gelegen, und
alles, was davon in mich gekommen ist, verdanke ich Herrn Boltes 1) in
ihrer Art vortrefflichen Erziehung. „Bleibe dir selbst getreu“ ist ein Satz,
den man sich mit goldenen Buchstaben überall hinschreiben sollte. Und
darum muß ich denn sagen, daß ich durchaus noch nicht ans Heiraten denke.
Ich komme mehr und mehr zu der Ueberzeugung, daß das Heiraten für einen
Mann nicht Zweck, sondern Mittel sein soll, Mittel zur Veredelung seiner
Natur. Die Frau soll „der schattige Fußpfad neben der Heerstraße des
Lebens“ sein. Allein um solchen Glückes teilhaftig zu werden, dazu gehört,
daß man rüstig auf der Heerstraße des Lebens einherwandeln könne, daß
man ein Ziel erreicht, ein weiteres vor sich habe. In unserm Stande wird
das Heiraten zu leicht zum Zweck des Lebens. Doa setzt sich so ein Reichs-
fürst in sein Schloß, verheiratet sich, geht auf die Jagd, unterschreibt
Dekrete und denkt wunder, was er für ein Held sei, und dabei fühlt er,
wenn er noch so glücklich in seiner Ehe ist, eine gewisse innere Unzufrieden-
heit, die er sich nicht erklären kann und die ihm seine Tage verbittert, und
das ist der Mangel eines bestimmten Ziels, der Mangel an tätiger Teil-
nahme an den höheren Interessen der Menschheit, kurz, die Stimme des
Gewissens, die er nicht versteht, nicht verstehen kann oder will. Ein Grund-
besitz wie in Schlesien, das regere Leben der Norddeutschen und Preußen
gewährt für solche Existenzen schon ganz andre Ersatz= und Anregungs-
mittel, Süddeutschland nicht. Und die Glücklichen sind in diesem Lande
und in unserm Stande nicht die Männer, sondern die Frauen, wenn sie
einigermaßen ihre Stellung verstehen. Nichts aber läßt einen gescheiten,
denkenden Menschen leichter in Melancholie verfallen als das Bewußtsein,
nichts mehr erstreben, wirken und schaffen zu können. Sage mir nicht,
daß mein hiesiger Wirkungskreis mir genügen müsse. Der gibt viel zu
wenig zu tun, und alles, was er zu tun gibt, ist nicht geeignet, die Seele
zu erheben. Das ist gut für die reiferen Jahre, nicht aber als Schule
fürs Leben, und ich will und muß noch in die Schule gehen, ich will und
muß noch die Wahrheit der Worte Chamissos anerkennen: „Laß uns
arbeiten und schaffen in unfrer Wissenschaft, damit wir nicht auf den
Gedanken geraten, uns eine Kugel durch den Kopf zu jagen.“
Am 18. April 1846 war der Fürst in die bayrische Kammer der
Reichsräte eingetreten und hatte sich an deren Arbeiten in München be-
teiligt. Den Niederschlag seiner ersten Erlebnisse auf dem Gebiete der
bayrischen Politik gibt die folgende Aufzeichnung des Tagebuchs:
1) Langjähriger Hofmeister der Prinzen.