Das bayrische Ministerium (1867 bis 1870) 393
Bestreben, bei den kirchlichen Autoritäten möglichst wenig anzustoßen, ein-
gegeben hat. Aber wie vorsichtig und behutsam sie nun auch lautet, sie
wird dennoch ohne allen Zweifel in Rom, in Regensburg, in Würzburg,
überhaupt bei der ultramontanen Partei das stärkste Mißfallen erregen.
Ich habe mich zuletzt selbst gewundert, daß meine Kollegen doch so viel zu
sagen sich entschließen konnten, mehr als vielleicht das große, gemischte
Publikum aus dem Dokument, wenn es bekannt werden sollte, herauslesen
wird. Aber sie sind freilich von der Größe des Unheils, welches der
Kirche droht, ebenso stark überzeugt wie ich.
Erst vor wenigen Stunden hat mich der Bischof von Orleans, !) der
zu einem Besuche hierhergekommen war, verlassen. Aus seinen Mitteilungen
ersehe ich, daß die Zahl der Bischöfe, welche den römisch-jesuitischen Plänen
abgeneigt sind und ihnen entgegentreten wollen, doch bedeutend größer ist,
als ich zu hoffen wagte. Er glaubt auf die Stimmen von fast fünfzig
französischen Bischöfen rechnen zu können, meint aber zugleich, daß auf die
Haltung der deutschen Bischöfe sehr viel ankomme, ja daß diese eigentlich
den Ausschlag zu geben berufen seien. Selbst in Italien sind nach seiner
Versicherung mehrere Prälaten geneigt, sich den Gegnern der Unfehlbarkeits-
theorie anzuschließen. Die Ansicht nämlich, daß die Proklamierung dieses
neuen Dogmas sehr inopportun sei und nur die Verlegenheiten der Bischöfe
vermehren würde, scheint glücklicherweise dort sehr verbreitet zu sein."“
Kardinal Prinz Hohenlohe an den Fürsten.
Rom, 15. September 1869.
.. Vielleicht besinnt sich der Heilige Vater noch, doch zweifle ich daran.
Bei allem Respekt für das Oberhaupt der Kirche wird mein Gehorsam auf
eine harte Probe gestellt. Ich vertraue, Gott wird mir beistehen.
Oft frage ich mich, was soll ich tun in diesen Stürmen? Man hat
mich so viel als möglich isoliert. Um nur ein Beispiel anzuführen, halten
Reisach und der Rektor der hiesigen deutschen Anstalt (Anima) Monsignore
Gaßner u. a. jeden Deutschen ab, mich zu besuchen, und dann das fort-
währende Hetzen beim Heiligen Vater, so daß er in fortwährender Auf-
regung gegen mich ist; alles das und vieles andre macht meine Stellung
zu einer schwierigen. Ich habe durch das Isolement allerdings den Vor-
teil, mehr freie Stunden für mich zu haben. Ich würde, wenn Döllinger
hierherkäme, ihn bei mir logieren, oder wenn du oder er einen ver-
läßlichen Theologen (weltlich oder geistlich) wüßtet, den ihr mir zur Zeit des
1) Ueber die Zusammenkunft des Bischofs Dupanloup mit Döllinger und Lord
Acton in Herrnsheim bei Worms siehe Friedrich, Geschichte des Vatikanischen Konzils,
Bd. II S. 396.