34 Aus der Jugend (1819 bis 1847)
einluden, sie in Schwalbach zu besuchen, wo sie bei Wittgensteins acht
Tage bleiben wollen. Ohne je über den Plan zu sprechen, der mich bewegte,
merkte ich, daß sie denselben Wunsch hegen, und da sie ungemein zart und
taktvoll, dabei doch ein wenig intrigant sind, so gehe ich mit großer
Seelenruhe in diese Falle, die ich mir von andern habe bauen lassen. Das
Gewebe von Intrigen, welches ich zu dem einen Zwecke angesponnen habe,
die Personen, die, ohne es zu wissen, dabei tätig waren, ist wahrhaft
jesuitisch, und ich tue mir viel darauf zugute. In der Hauptsache aber
könnt Ihr wohl überzeugt sein, daß ich nur ehrenhaft handeln und Gelzers
zehnte Rede ) nicht vergessen werde. Ich bin von dem Ernst des Schritts,
der sich an diese Reise knüpfen kann, wohl überzeugt, werde mich durch
keine äußeren Verhältnisse bestimmen lassen, eine Lüge zum Begleiter
meines Lebens zu machen. Ich habe Mut genug und Ruhe und Selbst-
bewußtsein, um die Sache vorsichtig zu betreiben.
Bingen, 5. Oktober 1846.
.. .Mit jedem Tage fühle ich mehr und mehr, welches unbeschreib-
liche Glück mir unverdienterweise zugefallen ist. Jeder Tag bringt neue
Annäherung, und zwar nicht gewöhnlicher Art, sondern eine jener innigen,
verstandenen Konversationen, bei denen die Augen sich gegenseitig in Freude
anleuchten, daß man auch hier, auch in diesem Punkte so von Grund der
Seele übereinstimmt. Um so anerkennenswerter ist dies, als ich, wie Du
weißt, nicht gern ernste Konversationen französisch führe, um so bewunderungs-
werter, als sie erst 17 ½ Jahre alt ist. Daß mir in solchem Beisammensein
die Zeit wie im Paradies hingeht, kannst Du denken. Daß noch keine
Erklärung erfolgt ist, gibt der ganzen Sache noch einen eigentümlichen Reiz.
Bingen, 30. Oktober 1846.
Nachdem die äußeren Rücksichten beseitigt, traten mir nun auf der
Reise die inneren Beziehungen und Rücksichten recht klar und deutlich vor
die Seele. Die Heiligkeit der Ehe ward mir klarer, die Notwendigkeit
gegenseitiger unbegrenzter Liebe und unbedingten Vertrauens und alle
ähnlichen Betrachtungen kamen mir vor die Augen und peinigten mich
gewaltig. Denn ich mußte zwei Dinge anerkennen. Einmal, daß ich selbst
mit meiner Zuneigung über ihre Gefühle nicht im klaren sei, ferner aber,
daß eine Reise nach Bingen einer Deklaration sehr nahe kam und der
Rücktritt dann sehr schwer werde. Diese Betrachtungen und Skrupel
waren es denn auch, die mein Blut zum Herzen trieben und mir jene
1) Gelzer, Die Religion im Leben. Reden an Gebildete. Zehnte Rede: Die
sittlich-religiöse Ehe.