36 Aus der Jugend (1819 bis 1847)
Kamin wartend, Marie freundlich und seelenvergnügt mir entgegenspringen
sah und wir, glücklicherweise allein, beide vor Freude kein Wort sprechen
konnten, seitdem ich sie nun jeden Tag sehe, spreche und unfre Konversation
nie ausgeht, seit ich sie wiedergesehen habe so schön, aufrichtig, edel und
alles, was man sonst sein kann, liebe ich sie nicht mehr mit der ruhigen
Ueberzeugung ihrer guten Eigenschaften, nicht mehr so, ich möchte sagen,
bräutigammäßig, sondern ich bin — c''est une expression un peu
triviale — verliebt, unruhig, fieberhaft. .. Und dabei müssen wir
noch etwas Komädie spielen, da die Deklaration erst in einigen Tagen
stattfinden kann.
Am 16. Februar 1847 vermählte sich der Fürst zu Frankfurt a. M.
mit der Prinzessin Marie zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg. Das junge
Paar begab sich zunächst nach Corvey, von wo der Fürst am 5. März an
die Prinzessin Amalie schrieb:
Ich habe kein andres Gefühl als das einer fröhlichen Frühjahrs-
stimmung, wenn man unter einem schattigen Baum auf einem nicht zu
hohen Berg liegt und die Wolken über sich am blauen Himmel ziehen
sieht. Denn mag draußen über dem Ziegenberg eine graue Schneewolke
nach der andern herüberziehen, mich kümmert das wenig, denn ich bin
glücklich und innerlich zufrieden, und ein seltsames Gefühl der Dankbarkeit
erfüllt mein Herz gegen Gott, der die Schritte der Menschen so freundlich
leitet zum Segen und zur Freude.
Wir haben hier das vernünftigste, klarste, schönste Leben, das einem
Sterblichen zuteil werden kann. Wenn ich morgens zwischen 8 und 9 Uhr
aufstehe, mache ich gewöhnlich einen Spazierritt, dann komme ich gerade
zurück, wenn Marie fertig ist. Dann frühstücken wir zusammen im gelben
Zimmer, freuen uns jeden Tag über den guten Kaffee oder eine neue Sorte
Kuchen, mit der uns der Koch überrascht, und unterhalten uns bis gegen
11 Uhr, wo ich in mein Zimmer gehe, um meine Geschäfte zu besorgen,
während Marie liest, Klavier spielt oder sich sonst beschäftigt. Gegen
2 Uhr bin ich fertig, dann gehen wir ein wenig in die Allee, wenn das
Wetter schön ist, um dem Postboten zu begegnen, wo wir dann auf der
Straße die Briefe lesen. Nach 2 Uhr essen wir, ebenfalls im gelben
Zimmer, und fahren dann im kleinen Wagen gegen Godelheim, Brenk-
hausen oder nach dem Chausseehaus über die Weser, mitunter reiten wir
beide, Marie in einem schönen braunen Kleid und schwarzem Hut auf
dem Fuchs, der so ruhig geht wie ein Badeesel. Zurückgekehrt finde ich
gewöhnlich Dedie 1) in meinem Zimmer, der mir seine Angelegenheiten und
sonstigen Neuigkeiten mitteilt. Abends lesen wir bis zum Tee alle mög-
1) Kammerrat Dedi, fürstlicher Beamter in Corvey.