Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

Die Revolution und die Reichsgesandtschaft (1848 bis 1850) 39 
übte, hatten zur Folge, daß sich ein wenn auch nicht frei redendes, doch 
frei denkendes Volk gebildet hatte, ein Volk, das systematisch einer Teil— 
nahme am Staat entgegengebildet worden war. Dieses Volk glaubte sich 
zu Anfang der Regierung Friedrich Wilhelms IV. aus dessen Worten zu 
einer Hoffnung auf Erfüllung seiner Wünsche, die seit dem Jahre 1817 
geschwiegen, aber nicht geschlafen hatten, berechtigt. Allein die Regierung 
schlug einen andern Weg ein als den, den das Volk erwartete. 
Bekannt ist das kirchliche System der Regierung Friedrich Wilhelms III. 
Es war nicht auf unbeschränkte kirchliche und religiöse Freiheit gegründet, 
was insbesondere seine Maßregeln gegen die katholische Kirche und die 
teilweise gezwungene Einführung der Union, die Unterdrückung und Ver- 
folgung der sogenannten Altlutheraner zeigte. Allein, wenn wir fragen, 
warum diese Maßregeln eine mehr partielle als allgemeine Aufregung 
hervorgerufen haben, warum diese Ereignisse ohne weitere Folgen vorüber- 
gingen, so können wir diese Erscheinung nur daraus erklären, daß trotz 
aller Eigenmacht, trotz aller Uebergriffe das Regierungssystem Friedrich 
Wilhelms III. ein protestantisches war, daß diese Uebergriffe und Miß- 
griffe eben aus der Freisinnigkeit der Regierung hervorgingen und deshalb 
die Gewissen nicht beunruhigten. Ja, es zeigten diese Handlungen die alten 
Symptome des Preußentums, die Aufklärung mit dem Stocke zu verkündigen, 
zu sehr an der Stirn, sie waren deshalb, mehr als man es glaubt, zu sehr 
in Uebereinstimmung mit dem Geiste der Nation, als daß mehr denn eine 
bloß momentane Unzufriedenheit daraus entstehen konnte. Die freie Forschung, 
die dem Preußen angeborene räsonierende Philosophie, blieb unangetastet. 
Das Ministerium Eichhorn — wer will es leugnen? — steht auf 
einem antipreußischen Grund und Boden. Bekannt und nicht zu beweisen 
ist sein System des orthodoxen Protestantismus. 
Ueber die Gefahr der allgemeinen Unzufriedenheit schreibt der Fürst: 
Die eigentliche Gefahr sind nicht die Parteien der Kommunisten, 
Sozialisten und Radikalen, deren es in jedem Staat und zu allen Zeiten 
gegeben hat, die eigentliche Gefahr sind nicht die im stillen wirkenden 
Bäter der Gesellschaft Jesu und ihrer Freunde, die die Verdumpfung des 
Volks als das einzige Heil, den einzigen Rettungsanker darstellen, die 
eigentliche Gefahr ist die, daß die Unzufriedenheit, von der jene Parteien 
so geschickt Gebrauch zu machen wissen, so allgemein verbreitet, so wohl 
begründet ist. Wie der Mensch, wenn er zum Bewußtsein seiner selbst, 
wenn er nach sorgfältiger Erziehung und jugendlicher Erfahrung auf den 
Höhenpunkt der freien Selbstbestimmung und tatkräftigen Handelns gelangt 
ist, nun in eine Zeit tritt, in der er jede Hand zurückweist, die ihn weiter- 
führen will, um allein den Weg zu betreten, den er für den guten hält,
	        
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