Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

Aus den Jahren 1850 bis 1866 67 
aus. Junge Mädchen sah ich bisher nicht, nur auf dem Ball bei dem 
Präsidenten einige. 
Im allgemeinen ist alles hier sehr vormärzlich, mein Kutscher schreit 
mir immer „oui, Monseigneur“ zu. Wer einen Orden hat, trägt ihn 
immer, überall und zu allen Tageszeiten. Das Leben ist indessen ange- 
nehm und leicht, die Soireen, da deren viele an demselben Abend sind, 
kurz und bloße Visiten 
4. Februar 1851. 
. .Ich höre einen sehr interessanten cours bei Michel Chevalier 
über Nationalökonomie, wohin ich mit Marie, Fürstin Mentschikoff und 
Frau von Seebach fahre. Das Collège de France ist leider so weit, 
daß ich die übrigen cours, wie einen ganz verrückten cours de philosophie 
bei Michelet, nur ab und zu besuchen kann. Dienstag und Freitag 
um 7½ Uhr liest Blanquit) in dem Conservatoire des arts et métiers 
über „6conomie industrielle“, eine höchst interessante und merkwürdige 
Vorlesung, die ich aber der Diners wegen nur selten besuchen kann. Es 
ist besonders merkwürdig, die verschiedenen Zuhörerklassen zu beobachten, 
Damen und Herren auf den reservierten Plätzen und Blusenmänner in 
Masse auf dem Amphitheater . Im allgemeinen gehe ich beruhigt, 
um manche Illusion ärmer von hier fort, also reicher im Innern. Marie 
fühlt mit jedem Tag mehr den Wert unfrer stillen Existenz in Schil- 
lingsfürst zunehmen und hat nun einen Schritt näher zum wahren Frieden 
getan. Und im Augenblick, wo alle diese Erfahrungen uns den Aufenthalt 
in der Heimat wert und teuer machen, droht uns eine unabweisbare Pflicht 
in die Ferne zu führen und eröffnet sich mir die Aussicht auf eine mühe- 
volle aber fruchtbare Existenz. 
Die letzte Bemerkung bezieht sich auf eine Uebereinkunft des Fürsten 
mit seinem Schwiegervater, dem Fürsten zu Sayn-Wittgenstein, nach welcher 
der Fürst die Verwaltung der großen Besitzungen in Rußland übernehmen 
sollte, welche das Erbteil der Fürstin und ihres Bruders von ihrer 
am 26. Juli 1832 verstorbenen Mutter geb. Prinzessin Stephanie von 
Radziwill bildeten. Die Uebersiedelung nach Rußland wurde für den 
Herbst 1851 festgesetzt. 
An die Prinzessin Amalie. 
Schillingsfürst, 24. Juli 1851. 
.. Nach London zu gehen habe ich große Lust, doch weiß ich nicht, wie 
ich es bei meinen bevorstehenden großen Reiseplänen machen soll. Es wird 
wohl nicht möglich sein, und ich werde, wenn auch mit großem Bedauern, 
  
1) Nationalökonom, der ältere Bruder des Kommunisten.
	        
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