Aus den Jahren 1850 bis 1866 81
so fehlt ihnen der Sporn, sich weiter auszubilden. Sie treiben sich nun
auf der Straße, auf dem Pincio, in den Soireen umher, tun ihren Dienst
in der guardia nobile, wenn sie Nachgeborene sind, verheiraten sich mög-
lichst früh, wenn sie Aussicht auf selbständige Stellung haben, und freuen
sich ihres Daseins. Es sind meistens harmlose Menschen, in den Formen
des gesellschaftlichen Lebens um so vollkommener, als ihnen dies Lebens-
zweck ist, vorsichtig wie alle Römer die Schwierigkeiten und Gefahren des
Lebens umgehend und höchst erstaunt, wenn sie hören, daß es Menschen
gibt, die bei hinreichendem Vermögen beflissen sind, „sich abzuplagen und
geplagt zu sterben“. Die Damen haben meist eine französische Erziehung
erhalten, einige der jüngeren sogar eine originale italienische Bildung,
Kenntnis ihrer eignen Schriftsteller, Interesse für ihr Land und seine Ge-
schichte. Sie tragen aber ihre Kenntnisse wenig zur Schau, weil sie den
Titel eines Blaustrumpfs vor allem fürchten und vermeiden wollen.
Die Sitten sind im ganzen gut. Jedenfalls bemerkt man in der
Gesellschaft wenig. Das sogenannte Courmachen ist verpönt. Daß unter
Damen und Herren der Gesellschaft Verhältnisse bestehen, ahnt man nur,
zu sehen ist nicht viel. Ich rede natürlich nur von der ganz vornehmen
Gesellschaft, den römischen Fürsten. Was unter dem „mezzo ceto“, der
zweiten Gesellschaft, vorgeht, weiß ich nicht. Auch die zur vornehmen
Gesellschaft zugelassenen und in ihr geduldeten Adeligen der niedrigeren
Kategorie sollen nicht viel taugen, und es kursieren darüber allerlei Skandal-
geschichten.
Das Familienleben in der römischen Aristokratie ist noch vielfach
patriarchalisch. Gemeinsames Morgen= und Abendgebet findet sich in den
ersten Familien. Die Ehen werden nicht nach Neigung, sondern nach
Uebereinkommen zwischen den Häuptern der Familien abgeschlossen, et les
jeunes gens ne s'’en trouvent pas plus mal. Extravaganzen junger
Mädchen in den höheren Familien sind unmöglich. Bei dem Abschluß
der Ehe werden in dem Heiratsvertrag alle Details des täglichen Lebens
festgesetzt, so daß das junge Ehepaar seine Existenz genau vorgezeichnet
erhält, es wird darin nicht nur die Mitgift, sondern auch deren Ver-
wendung festgesetzt, man weiß, wie oft die Eheleute ins Theater gehen
können, wie viel Reisen sie machen dürfen, wie viel Bediente, Pferde,
Wagen sie halten können u. s. w. Dies ist nötig, weil die Ehen sehr früh
geschlossen werden und Mann und Frau meist von gleichem Alter und
gleicher Unerfahrenheit sind.
Alle diese Eigenschaften und Eigenheiten der Aristokratie fallen aber
dem Volk nicht auf. Mit kleinen Modifikationen finden sich dieselben
Sitten auch bei dem niederen Volk, und dieses findet es sehr in der
Ordnung, daß gleiches in anderm Maßstabe auch bei der Aristolratie
Fürst Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. 1