Geschlechtsvormundschaft. 137
nahmsweise ausgeschlossen werden kann, ferner die Anwesenheit der Minister und
Regierungskommissare, sowie die Rechte derselben in den Verhandlungen des Land-
tags stehen unter dem Schutze der Verfassung. Doch wird der Gang der Landtags-
berathungen einmal dadurch, daß die Anwesenheit der Minister verlangt werden
kann, sowie dadurch berührt, daß dieselben jeder Zeit gehört werden müssen. Hier-
nach müssen Minister und Regierungskommissare das Wort erhalten, sobald und so
oft sie es verlangen, ohne daß jedoch dadurch ein Anderer in seinem bereits begon-
nenen Vortrage unterbrochen werden darf. Auch darf ihnen weder durch den Schluß
der Debatte, noch durch den Präsidenten das Wort entzogen werden. Machen sie
nach geschlossener Debatte von ihrer Redefreiheit Gebrauch, so gilt die Diskussion
auf's Neue für eröffnet.
Der geschäftliche Verkehr zwischen beiden Häusern ist regelmäßig schriftlich und
wird durch die Präsidenten vermittelt. Doch kennen einzelne Verfassungen eine
mündliche Verhandlung zwischen beiden Kammern oder zwischen Ausschüssen derselben
zur Herstellung einer Uebereinstimmung bei dissentirenden Beschlüssen.
Quellen: Deutsches Reich: G. vom 10. Febr. 1876. — Preußen: G. des Ab-
gordnetenhauses von 1862; G. des Herrenbauses von 1864. — Bayern: Ges. vom 19. Jan.
1872. — Sachsen: Landtagsordn. v 12. Okt. 1874. — Hessen: Ges. v. 17. Juni 1874. —
Braunschweig: Neue G. für die Landesversammlun v. 30. Mai 1871 nebst Ges. v. 10. Nov.
1873 u. s. w. — Außerdem enthalten die Deutschen Verfassungsurk. mehr oder weniger aus-
führliche Vorschriften über die Behandlung der Geschäfte in den Kammern.
I. Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Tüb. 1860, Bd. I. S. 207 bis
221, so dan s Gesch. u. Lit. der Staatswissenschaften, Erl. 1855, We. I. S. 309,
310. — Sie Th. E . May, Das Englische Parlament und sein Verfahren, aus der 8. engl. Aufl.
übers. v. O. G. Oppenheim, 2. Aufl., Leipz. 1880 R. Schleiden, Die Disciplinar-
und Strafgewalt parlamentarischer Versammlungen über ihre Mitglieder, 2 Hefte, Berlin
1879. — Außerdem vergl. die systematischen Darstellungen des gemeinen oder partikularen
Deutschen Staaterechts und die dort cit. Literatur, insbesondere v. Rönne, Staatsrecht der
reuß. Monarchie, Bd. I. 2. Abth., 3. Aufl. Leipz. 1870, 88 132—141, S. 446
Schulze, Preußisches Staatsrecht, Bd. II. Abth. 1 § 166 S. 184 ff. — F. Thu=
dichum, Verfassungsrecht des Norddeutschen Bundes, Tüb. 1870, S. 166—197. — v. Rönne,
Das Staats R. des Deutschen Reiches, 2. Aufl. Bd. I., Leipz. 1876, §§8 39, 40, S. 282 ff. —
G. Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, Leipz. 1878, 88 10 105, 132.
F. Brockhaus.
Geschlechtsvormundschaft (cura sexus, Th. I. S. 510) ist die Vormundschaft
über großjährige unverheirathete Frauenzimmer. Eine Vormundschaft über Weiber
(tutela mulierum) war dem Röm. R. bekannt, doch ist dieselbe in der späteren Zeit
untergegangen, so daß sie in den Justinianischen Rechtsbüchern keine Stelle mehr
gefunden hat. Ebenso ist es ein durchgehender Grundsatz des älteren Deutschen R.,
daß Frauen während ihres ganzen Lebens unter Vormundschaft (mundium) stehen.
Diese führte zunächst der Vater, nach dessen Tode der nächste ebenbürtige männliche
Verwandte. Mit der Verheirathung ging dieselbe auf den Ehemann über. Der
Grund für diese Vormundschaft lag in der Wehrlosigkeit der Frauen. Aber auch
nachdem diese als Grund nicht mehr angesehen werden konnte, blieb doch die Vor-
mundschaft, wenn auch in beschränkterem Umfange bestehen und überdauerte sogar die
Rezeption des Röm. R. An Stelle der Wehrlosigkeit wurde jetzt als Grund die
Schwäche und Unerfahrenheit der Frauen geltend gemacht. Heutzutage kommen
zwei Arten der G. für unverheirathete Frauenzimmer vor: eine cura sexus generalis
und specialis. Erstere ist eine dauernde, bei der letzteren tritt der Vormund nur
für einen speziellen Akt der Frau zur Seite. In jedem Falle wird der Vormund
von der Frau frei gewählt, welche auch berechtigt ist, denselben zu entlassen und
einen anderen zu nehmen. Eine Pflicht zur Uebernahme einer solchen Vormundschaft
besteht nicht. Der Geschlechtsvormund muß obrigkeitlich bestätigt werden, und zwar
der curator generalis vom persönlichen Richter der Frau, der curator specialis von
dem Gericht, vor welchem der Akt vorgenommen werden soll. Der Geschlechtsvor-