Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

98 Postliminium. 
Familien- und Vermögensrechte wurde dagegen von der Römischen Jurisprudenz 
durch die Konstruktion des jus postliminii abgeholfen, nach welchem dann, wenn ein 
gefangener Römer sich noch während des Krieges selbst befreit und glücklich zu den 
Seinigen gelangt, bzw. dann, wenn ein Solcher nach einem die Rückkehr der Kriegs— 
gefangenen bestimmenden Friedensschlusse in sein Vaterland zurückkehrt, angenommen 
werden solle, derselbe sei überhaupt niemals entfernt gewesen, alle vor der Kriegs- 
gefangenschaft vorhanden gewesenen Rechtsverhältnisse beständen also nach wie vor 
zu Recht. 
Da nun die Sklaverei in den heutigen Kulturstaaten überhaupt nicht mehr 
eristirt und insbesondere schon seit dem 12. Jahrh. nicht mehr eine rechtliche Folge 
der Kriegsgefangenschaft ist, so bedarf weder das Privatrecht noch das Bölkerrecht 
der neueren Zeit bestimmter Fiktionen, um den aus der Kriegsgefangenschaft zurück- 
gekehrten Staatsangehörigen in seine privat= und staatsrechtliche Stellung wieder 
einzuführen; denn diese wird durch die Kriegsgefangenschaft überhaupt nicht ver- 
nichtet. Die etwaige Einsetzung eines Kurators für das Vermögen des Kriegs- 
gefangenen ist keine Folge der rechtlichen, sondern nur der thatsächlichen 
Unfähigkeit des Letzteren, sein Vermögen selbst zu verwalten: es liegt hier eine ein- 
fache cura bonorum absentis vor, die durch die Thatsache der Rückkehr des Ge- 
fangenen, aber nicht in Folge eines besonderen jus postliminü ihr Ende erreicht. 
Ebensowenig ist es eine Anwendung des Römischen jus postliminü, wenn der Eigen- 
thümer eine ihm während eines Landkrieges durch die feindliche Macht weggenommene 
bewegliche oder unbewegliche Sache wieder in Besitz nimmt oder vindizirt; denn 
nur seine thatsächliche Herrschaft über die Sache, nicht aber sein Eigenthumsrecht ist 
durch den Krieg vorübergehend ausgehoben worden: es liegt also kein Rechts- 
verlust vor, zu dessen Beseitigung ein jus postliminü# nothwendig wäre. 
Dagegen könnte es fraglich scheinen, ob nicht die Rückerwerbung wirklicher 
völkerrechtsmäßiger Kriegsbeute — wie Waffen, Kriegsvorräthe und sonstiger zur 
Kriegführung nothwendiger, im Eigenthum der feindlichen Staaten oder der Kom- 
battanten befindlicher Sachen — sowie die Wiedernahme eines durch eine krieg- 
führende Macht weggenommenen feindlichen oder neutralen Schiffes bzw. der Ladung 
desselben eine Anwendung des Römischen P. sei. Selbst das Völkerrecht der Gegen- 
wart nimmt nämlich, wenngleich unter dem Widerspruche vieler hervorragender 
Publizisten, in diesen Fällen eine wirkliche Eigenthumserwerbung von Seiten des 
Kaptor — sei dies nun ein einzelner Feind oder der Nehmestaat selbst — an, würde 
also eines jus postliminü bedürfen, um das Recht des ursprünglichen Eigenthümers 
nach einer Rückkehr der weggenommenen Sache in die Hände desselben bzw. unter 
den Schutz seiner oder einer befreundeten Nation wiederherzustellen. Da jedoch 
der Kaptor nach allgemein geltenden Grundsätzen das Eigenthumsrecht an weg- 
genommenen Schiffen und Ladungen nicht schon im Momente der Wegnahme, 
sondern erst an einem späteren, von Theorie und Praxis verschieden bestimmten 
Zeitpunkte, dann aber auch mit definitiver, bleibender Vernichtung des 
ursprünglichen Eigenthumsrechts, erwirbt, so ist auch in diesem Falle ein jus post- 
liminü nicht anwendbar. Wird dem Kaptor nämlich ein wirkliches Eigenthum, wie 
manche Publizisten, z. B. Bluntschli, wollen und auch die Nordamerikanische 
Praxis hinsichtlich aller nationalen Schiffe und Güter anerkennt, erst nach vor- 
gängigem Spruche eines kompetenten Prisengerichts zugestanden, so erhält die vor 
dem Spruche des Prisenhofes erfolgte Wiedernahme des Schiffes durch ein Schiff 
derselben oder einer befreundeten Nation, die Reprife, nur das ursprüngliche, noch 
gar nicht verlorene Eigenthum. Nach dem Spruche des Prisengerichts ist aber nach 
derselben Ansicht jedes Wiederaufleben des ursprünglichen Eigenthums ausgeschlossen, 
selbst wenn Schiff und Ladung wieder in die Gewalt ihrer Nation gelangen. Das 
Gleiche gilt dann, wenn, wie die meisten Staaten des Europäischen Kontinents und 
viele Publizisten, z. B. Vattel, Klüber, Martens u. A., nach dem Vorgange
	        
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