Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

176 Privatanklage. 
die Durchführung der öffentlichen Klage (als solcher) in Privathände zu legen, 
sei es nun, daß diese sich freiwillig darbieten, wie im republikanischen Rom, sei es, 
daß eine Verpflichtung von Privaten, unter gewissen Umständen die öffentliche Klage 
in die Hand zu nehmen, statuirt wird, wie in England. 
3) In Frankreich, wo das unter 2) erwähnte Verhältniß dadurch aus- 
geschlossen wurde, daß der Organismus der Staatsanwaltschaft geschaffen ward, 
ward doch von jeher auch die Berechtigung des durch die strafbare Handlung Be- 
schädigten, auf den Strafprozeß Einfluß zu üben, anerkannt. Der Theorie nach wird 
ein dem Adhäsionsprozeß ähnliches Verhältniß zwischen der öffentlichen Klage (action 
publique) als Hauptsache und der Privatklage (action civile) als Nebensache und 
dem entsprechend eine Streitgenossenschaft zwischen der Staatsanwaltschaft als Haupt- 
partei (partie principale) und dem Privatkläger (partie civile) als Nebenpartei 
(partie jointe) angenommen; der Theorie nach bringt der Beschädigte vor dem 
Strafrichter nur jenen Anspruch zur Geltung, welchen er auch vor dem Civilrichter 
erheben könnte, nämlich den Entschädigungsanspruch. Allein übersieht man die der 
Civilpartei im Franz. Straf Prz. eingeräumten nach der Abstufung der Delikte in 
Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen verschiedenartig geregelten Befugnisse, so 
kann man nicht verkennen, daß dieselben auf mehr hinauslaufen, — daß dem Be- 
schädigten vielfach Gelegenheit gegeben ist, mit Umgehung der Staatsanwaltschaft und 
gegen deren Willen die Schuldigerklärung und Bestrafung des Angeklagten 
anzustreben. — Soweit in Deutschland das Franz. Recht als solches rezipirt war, 
waren dort dem Beschädigten im Allgemeinen nicht nur so weit gehende Befugnisse nicht 
eingeräumt, sondern es war auch der Adhäsionsprozeß auf großen Gebieten nicht zu- 
gelassen, d. h. es war dem Beschädigten nicht gestattet, seine Entschädigungsklage vor 
dem Strafrichter und im StrafPrz. anzubringen. 
4) Wie sehr man auch geneigt war, unter der fortschreitenden Entwickelung 
und Ueberspannung der Ingquisitionsmaxime die äußersten Konsequenzen aus der 
öffentlichen Natur des Strafrechts zu ziehen, so konnte man sich doch der Ueber- 
zeugung nie ganz verschließen, daß es nicht in allen Fällen zu rechtfertigen sei, den 
StrafPrz. ohne jegliche Rücksichtnahme auf die Wünsche des Beschädigten in Gang 
zu setzen. Zwei Rücksichten entgegengesetzter Art müssen dabei ins Auge gefaßt 
werden. In gewissen Fällen wird die unglückliche Lage des vom Verbrechen Be- 
troffenen durch die Einleitung des StrafPrz. so verschlimmert, daß der letztere ge- 
wissermaßen das Werk des Verbrechers erst vollendet, und Rücksichten der Mensch- 
lichkeit dazu drängen, das öffentliche Interesse an der Bestrafung des Verbrechers 
vor dem des Beschädigten zurücktreten zu lassen. Es gilt dies von gewissen Ver- 
letzungen der Geschlechtsehre und theilweise auch vom Ehebruch und einigen 
verwandten Delikten. In anderen Fällen ist die Geringfügigkeit der Rechtsverletzung 
und die Befugniß gewisser Privaten, über das verletzte Objekt frei zu verfügen, so 
auffallend, daß eben nur unter der Voraussetzung, daß der Verletzte Klage erhebt, 
eine Störung der öffentlichen Rechtsordnung, die wesentliche Voraussetzung jeder 
Bestrafung, als vorhanden angesehen werden kann. In Folge dessen ist bei der- 
artigen Delikten (sog. Antragsverbrechen) — am vollständigsten behandelt 
im Königl. Sächs. Straf#S B. — der Grundsatz zur Geltung gelangt, daß dieselben 
nicht ohne Antrag des Beschädigten verfolgt werden dürfen. Fast unvermeidlich 
folgt hieraus das Recht zur Rücknahme des Strafantrages bis zur Fällung 
oder selbst bis zur Bekanntmachung des Straferkenntnisses. — Ferner lag der Ge- 
danke sehr nahe, bei den minder wichtigen Antragsdelikten (unter Benutzung des 
Französischen Vorbildes) dem Verletzten die Verfolgung statt des dieselbe ablehnenden 
Staatsanwaltes zu gestatten, ja bei Delikten niederster Ordnung die Intervention 
des letzteren geradezu auszuschließen und dem Verletzten allein zu überlassen, so daß 
man also im ersten Falle zur subsidiären, im zweiten zur prinzipalen P. bei einem 
freilich sehr beschränkten Kreis von Delikten gelangte. (Auch in dieser Hinsicht ist
	        
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