196 Prostitution.
keinen Umständen neue errichtet werden dürften und vielmehr eine Verminderung
derselben mit allen Mitteln angestrebt werden müsse“. Auch durfte fortan kein
Bordellwirth mehr Eigenthümer sein, und das Bürgerrecht wurde ihm versagt.
Seit jener Zeit begann ein hartnäckiger Kampf der Behörden gegen die P., deren
völlige Unterdrückung ausgesprochenes Ziel war. Die sogleich nach der Einschränkung
der Bordelle sich ergebende Thatsache, daß die syphilitischen Erkrankungen in Berlin
bei Civil und Militär zunahmen, wurde als unerheblich bei Seite gelassen; denn,
wie es in einem Ministerialreskript vom 25. Juni 1839 wörtlich heißt: „sich in der
unverständigen Befriedigung geschlechtlicher Bedürfnisse vor Schaden und Ansteckung
gesichert zu sehen, darauf hat Niemand einen Anspruch an die Polizei“. Es könne
daher „von einem Konflikte der Tendenzen der Sittenpolizei mit denen der Sanitäts-
polizei nicht füglich die Rede sein“. Endlich fand in Folge Königlicher Ordre vom
5. August 1845 die gänzliche Aufhebung aller in Berlin bestehenden Bordelle mit
dem 1. Januar 1846 statt. Aber anstatt der erwarteten Verminderung der Pro-
stituirten konstatirte die Polizei schon nach zwei Jahren eine Zunahme derselben,
und ihr Treiben nahm dabei einen weit sittengefährlicheren Charakter an, weil sie
sich unter den allerverschiedensten Scheinformen, als Schankmamsells, Näherinnen,
Wäscherinnen, Dienstboten, verheirathete Frauen (sog. „Scheinfrauen") u. s. w., in
die Gelegenheiten zur Ausübung ihres Gewerbes hineinzuschmuggeln wußten. Die
Zahl der Kupplerinnen stieg bedeutend, und besonders junge Mädchen von 15 bis
20 Jahren fielen den Vermittelungskünsten dieser Weiber zahlreich zum Opfer. Die
Austritte auf Straßen und Plätzen wurden skandalöser als vordem, und die Polizei
war zu einem Aufgebote beständiger, die Straßen durchziehender Streifwachen ge-
nöthigt, um dem Unfuge zu steuern. Zugleich nahm die Häufigkeit syphilitischer
Ansteckungen sofort zu; die Zahl der in der Charité behandelten infizirten
Frauenzimmer betrug im letzten Jahre vor der Aufhebung der Bordelle,
1845 : 514; nach deren Aufhebung
im Jahre 1846 627
„ „1847 761
„ „1848 8385.
Die Zahl der in der Charité behandelten syphilitischen Männer stieg gleichfalls
nach 1845 rasch; es waren
im Jahre 1845: 711
„ „ 1846 813
„ „ 1847: 894
„ „ 1848 : 979.
Zugleich nahm, wie die Charité-Annalen beweisen, die Krankheit an Hartnäckigkeit
und Bösartigkeit zu, da die Durchschnittsdauer der Kuren von 34 auf 43 Tage stieg.
In Folge dieses eklatanten Mißerfolges der Aufhebungsmaßregel entschloß man
sich schon im Jahre 1850 zur Wiedereröffnung der alten und einer großen Anzahl
neuer Duldungshäuser. In dem bezüglichen Beschlusse des Königl. Polizeipräfidiums
vom 18. Dez. 1850 heißt es ausdrücklich: „Es gilt als anerkannt, daß die P.,
dieser Parasite der Gesellschaft, durch keine gewaltsame Maßregel, welcher Art sie
auch immer sein möge, unterdrückt werden könne, daß jedweder Versuch in diesem
Sinne das Uebel nur verschlimmert, und daß man demgemäß derselben
eine gewisse Toleranz unter einer der Oertlichkeit und den Um-
ständen angemessenen Kontrole zugestehen muß“.
Durch denselben Beschluß wurde eine „Kommission zur Ueberwachung der P.
und der Syphilis“ niedergesetzt, bestehend aus einem Polizeirath und einem Arzte,
welche als exekutive Behörde in Ansehung der Maßregeln, gegenüber der tolerirten
P., und als berathende hinsichtlich der Verfolgung der heimlichen P. zu sungiren
hatte.