Prostitution. 197
Das Preuß. StrafGB. vom 14. April 1851 gewährte durch Aufnahme des
landrechtlichen Verbotes nur solcher gewerbsmäßigen Unzucht, welche den polizeilichen
Anordnungen zuwider getrieben werde, und durch das daran angereihte Verbot der
Kuppelei die Möglichkeit der Tolerirung von Bordellen; aufgehoben wurde aber diese
Möglichkeit für die Polizeibehörde durch das „StrafGB. für das Deutsche Reich“,
welches in § 180 die Bestrafung wegen Kuppelei ohne Rücksicht auf polizeiliche
Anordnungen über Jeden verhängt, „wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch
seine Vermittelung oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der
Unzucht Vorschub leistet“. In Folge dieser Gesetzesbestimmung haben seit 1871 die
Bordelle nominell aufgehoben werden müssen, ungeachtet des lebhaften Widerstandes
einzelner Städte, namentlich Hamburgs, dessen Senat gegen das Verlangen des
Reichskanzleramtes, die Aufhebung der Bordelle betreffend, vergeblich an den Bundes-
rath appellirte. Die Beaufsichtigung der P. beschränkt sich seitdem darauf, daß die
Mädchen, welche von der Polizei als Prostituirte erkannt werden, einer Einschreibung
und fortan einer regelmäßigen ärztlichen Untersuchung unterworfen werden. Bei
konstatirter Infektion werden sie dann zwangsweise in ein Krankenhaus gebracht und
darin bis zu erfolgter Genesung festgehalten. Diese periodischen Untersuchungen sind
in Preußen den örtlichen Polizeiverwaltungen ausgegeben, und die Kosten derselben
haben die Kommunen nach dem Gesetz vom 11. März 1850 zu tragen (vgl. Er-
kenntniß des OTrib. vom 11. März 1852). Als Folge dieser neuen Ordnung der
Dinge ergiebt sich überall die bereits früher nach Aufhebung der Frauenhäuser er-
gebene Thatsache, daß die Unzucht auf den verschiedensten Umwegen und Schleichwegen.
um so tiefer ins gesellschaftliche und öffentliche Leben sich hineindrängt und über
Zunahme der syphilitischen Erkrankungen von den verschiedensten Seiten Klagen er-
hoben werden.
In Bayern wurde bis zum Jahre 1861 die P. nur in besonderen Häusern
der größeren Städte unter fortwährender sitten= und gesundheitspolizeilicher Aussicht
geduldet, dagegen der Einzel-P. und allem Aufsuchen der Gelegenheit zur gewerbs-
mäßigen Unzucht auf Straßen und öffentlichen Plätzen energisch entgegengetreten.
Dieses Verfahren bewährte sich namentlich zu München in dem Grade, daß nach den
gepflogenen Erhebungen keine Hauptstadt Europa's eine verhältnißmäßig so geringe
Zahl syphilitischer Erkrankungsfälle hatte und in keiner Stadt die Straßenunsittlichkeit
auf ein solches Minimum herabgedrückt war wie in München. Die neue Strafgesetz-
gebung vom 10. Nov. 1861 machte ein ganz verändertes Verfahren nothwendig.
Die Polizeibehörde durfte fortan keine Kenntniß mehr von dem Bestehen eines Bor-
dells erhalten, ohne sofort die gerichtliche Einschreitung zu veranlassen, während
andererseits das Aufsuchen der Gelegenheit zu unzüchtigem Erwerb auf den Straßen
nicht mehr strafbar war Die Folge davon war eine starke Ueberhandnahme der
Winkelbordelle und des unsittlichen Gassenverkehrs, eine zunehmende Verbreitung der
Syphilis sowol in den Städten wie von diesen auf das Land und in die Familien-
kreise hinein (den statistischen Nachweis vgl. in Majer, Ueber die Verbreitung
der venerischen Krankheiten in Bayern, in Eulenberg's Vierteljahrsschrift für
ger. Med. Bd. XVIII. Heft 1, 1873). Eine Aenderung des Gesetzes wurde bald
als nothwendig erkannt; man einigte sich im Jahre 1868 über eine Zusatzbestimmung,
vermöge deren „einmal bestrafte Weibspersonen auf die Dauer eines Jahres durch
die Polizeibehörde der ärztlichen Untersuchung ihres Gesundheitszustandes unterstellt
werden konnten“; — im Jahre 1871 brachte dann das neue Straf GB. die viel
weitergehende Bestimmung: „Mit Haft wird bestraft eine Weibsperson, welche
polizeilichen Anordnungen zuwider gewerbsmäßige Unzucht treibt“. Diese Bestimmung
setzte die Polizeibehörde in Stand, regelmäßige Untersuchungen der von ihr der P.
überführten Dirnen vorzunehmen, ohne aber dieser Maßregel die regelmäßige und
umfassende Wirksamkeit gewähren zu können, wie folche bei Duldung beaussichtigter
Frauenhäufer ermöglicht war.