Prozeßleitung. 217
zögerungen und unnöthigen Weitläufigkeiten Veranlassung geben könnte, vermieden
werde“. Die P. kann nach Grolmann sich bald negativ äußern, wenn sie
der Form oder dem Inhalt nach fehlerhaften oder unzulässigen oder verzögerlichen
Handlungen entgegentritt, z. B. den Antrag auf Versäumnißurtheil zurückweist oder
vertagt oder verspätete Defensionen des Beklagten oder verspätete Beweismittel und
Beweiseinreden auf Antrag zurückweist, bald positiv, wenn sie, im Anschluß an
die Eigenthümlichkeiten der bezüglichen Prozedurart, den Fortschritt der Verhand-
lungen fördert, z. B. einen Beweisbeschluß erläßt, Termin zur Fortsetzung der münd-
lichen Verhandlung ansetzt, oder bei Aufhebung eines durch Berufung oder Revision
angefochtenen Urtheils die Sache zu weiterer Verhandlung und Entscheidung an die
frühere Instanz verweist. Grolmann hat den Ausdruck P. von J. H. Böhmer
entlehnt, welcher die interlocutiones merae als Dekrete bestimmte, „quae ad direc-
tionem processus pertinere videbantur“, und sie als solche den interlocutiones
mixtae und dem Endurtheil entgegensetzte. In Folge dessen beschränkte Grol-
mann auch die P. auf den Lauf der Verhandlungen im Unterschiede vom End-
urtheil, und Gönner und Spätere erweiterten diese Beschränkung zu einem
Gegensatz zwischen P. und dezisiver richterlicher Thätigkeit überhaupt (vgl. d. Art.
Entscheidungen). Dieser Gegensatz wie jene Beschränkung sind jedoch verwerflich,
da das Endurtheil, dem im Gemeinen Recht die executoriales eingefügt, nach der
Deutschen CPO. die Vollstreckungsklausel angehängt werden soll, nur die Brücke zur
Exekution bildet, bei welcher auch die Arbeitstheilung zwischen Gerichtsvollzieher
und Gericht nur nebensächliche Bedeutung hat, wie v. Bar (a. a. O. S. 1) hervor-
hebt. Ihren natürlichen und einzigen Gegensatz hat die P. vielmehr als Thätigkeit
des Richters an der Thätigkeit anderer im Prozeß handelnden Personen, somit vor
allen der Parteien, deren Rechtsverfolgung von Anfang bis Ende des Prozesses zu
ihr in fortwährender Beziehung steht. Die Stellung des Richters als Organ der
Staatsgewalt duldet keine Unterwerfung unter die Willkür der privaten Parteien,
und eine leitende Thätigkeit kann begrifflich keine von fremdem Willen abhängige
sein; wiederum aber sind die Ansprüche und Rechte, welche die Parteien im Prozeß
verfolgen, ihre Privatrechte, über welche ihnen die Disposition zusteht: so fragt sich,
wie die Grenze zwischen P. und Parteiendisposition zu bestimmen ist? Grolmann
bezeichnete sie in der Weise, daß der Richter in der negativen P. selbständig, in der
positiven dagegen an die Anträge der Parteien gebunden sei, und Gönner, dessen
Unterscheidung zwischen reflektirender und sonstiger richterlicher Thätigkeit freilich der
Grolmannsschen nicht ganz entspricht, erklärt die erstere für selbständig, die letztere
aber von seiner bekannten Verhandlungsmaxime für abhängig: der Richter
sei, soweit ihn nicht ausdrückliches Gesetz oder die Natur der Sache zu selbständiger
offizieller Thätigkeit berechtigten, an die Anträge der Parteien dergestalt gebunden,
daß er, wann und soweit die Partei einen Antrag nicht gestellt, zu handeln nicht befugt
sei und die Partei für verzichtend anzusehen habe. Erhellt aus diefer überall ein-
greifenden Verzichtspräsumtion, zu wie gefährlichen Konsequenzen die Theorie Grol-
mann's und Gönner's hinführt, so ist der Grund für dieselbe einzig der, daß
im Civilprozeß den Parteien die Disposition über die von ihnen verfolgten Rechte
zustehe, denselben daher auch die Disposition über die prozessualen Wege und Mittel,
sie zu verfolgen, gestattet sein müsse. Diese Folgerung ist jedoch eine verfehlte.
Denn, mögen die im Prozeß verfolgten Rechte immerhin Privatrechte der Parteien
sein, es ist die Staatshülfe, die zu deren Realisirung beansprucht wird, und sonach
ist es auch Recht des Staates zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen und
Modalitäten er dieselbe gewähren will. Die Disposition der Parteien über ihre
im Prozeß verfolgten Rechte involvirt daher keine Disposition über die Rechte des
Staates und seiner Organe, der Gerichte, vielmehr steht den letzteren prinzipiell die
selbständige Handhabung der Prozeßordnung zu und sie haben sich von der Disposition
der Parteien nur insoweit leiten zu lassen, als der Staat und seine Prozeßordnung