Rechtsanwaltschaft. 273
Gewerbe herab, dessen Mitglieder namentlich auf den Gelderwerb angewiesen waren,
und weil das Volk in seinen Rechtssachen mit ihnen am meisten in Berührung
kam, für die Schäden des gesammten Rechtszustandes ungerechtfertigter Weise ver-
antwortlich gemacht wurden. Berichte, wie der Leyser's, von 1732 (Medit., ad
pandect., spec. 547 n. 4): „Nullum fere nunc scriptum editur in duo si advocatorum
forte mentio fit, convitiis non onerentur. Deinde dignitas eis nulla relinquitur.
In conviviis ad infimum subsellium reiciuntur, in solemnibus infra secribas,
argentarios, publicanos amandantur. Denique magistratus in aliorum criminibus
indulgentissimi advocatorum levissima errata severe puniunt ac frequentibus
mulctis eos fere ad incitas redigunt. Ita fit ut si paucos excipias probos
doctosque viros .. non nisi viles et ad alia negotia inepti homunculi advo-
cationem ambiunt“, in Verbindung mit den hervorgehobenen Umständen lassen es
erklärlich erscheinen, daß man die Verkommenheit der Advokatur, ein bloßes
Symptom des schlechten Rechtszustandes, als Grund des letzteren ansah, und in
Preußen im Jahre 1780 den mehrfach schon angeregten, freilich nur auf kurze Dauer
haltbaren Versuch machte, die Advokaten ganz abzuschaffen, und sie durch die wunder-
liche Mißgeburt der staatlich besoldeten Assistenzräthe zu ersetzen, welche bei
der Untersuchung des Faktums vornehmlich Gehülfen und zugleich „Kontroleurs"
des Richters, bei der Erörterung des Rechtspunktes dagegen Beistände der Parteien
sein sollten.
Wenn mehrfach behauptet wird, daß der absolute oder der Polizeistaat Schuld
an der Herabdrückung des Advokatenstandes in Deutschland gewesen ist, so ist das
nicht unbedingt richtig. Noch in der späteren Kaiserzeit genossen die Advokaten
einer höheren Achtung, ebenso unter Ludwig XIV. in Frankreich. Hier war ebenso-
wenig, wie bei den Römern, eine so große Kluft zwischen dem Rechtsbewußtsein des
Volkes und dem für dasselbe in den Gerichten angewendeten Recht vorhanden; ferner
war das mündliche Verfahren, welches in Frankreich auch in Civilsachen nie ganz
verdrängt worden ist, im Gegensatz zum schriftlichen Prozeß geeignet, die Bedeutung
des Advokatenstandes dem Publikum zum Bewußtsein zu bringen. Dazu kam endlich,
daß der Deutsche Advokat, nicht wie der Französische, durch die Gewohnheit des Auf-
steigens in die Magistratur dem Richter als Kollegen gleichgestellt war. Als staatlich
konzessionirter Beamter, welcher einen als nothwendiges Uebel geltenden Beruf aus-
übte, konnte er in seiner Vereinzelung dem Beamtenthum gegenüber keine freie und
würdige Stellung einnehmen, während umgekehrt in Frankreich, wo sich die Funk-
tionen des Prokurators (procureur, avoué) von der des Advokaten getrennt erhalten
hatten, ersterer zwar als officier ministériel galt, der Advokat aber kein Staats-
beamter, sondern der unabhängige Mann war, welcher sich mit seinen Kollegen zu-
sammenschloß und der Magistratur gegenüber als Macht auftreten konnte.
In Folge der Veränderung des Rechtszustandes in Deutschland, insbesondere
der Verbesserung des Civ. Prz. und der Einführung des mündlichen Verfahrens in
Strassachen seit dem Jahre 1848, sowie in Folge des Wiedererwachens des politischen.
Lebens hat sich die Lage der Advokatur in Deutschland wieder gehoben und die
Partikulargesetzgebung hat wenigstens in manchen Deutschen Staaten den früheren
Standpunkt des Mißtrauens gegen die Advokaten aufsgegeben.
Die Beschränkung der Zahl der Advokaten und staatliche Anstellung für
einen bestimmten Gerichtsbezirk wurde in Altpreußen, Kurhessen, Nassau,
Bayern und Anhalt beibehalten. In der Rheinprovinz, in Hannover
und in Braunschweig war dagegen nach dem Vorbilde Frankreichs der Beruf
des Anwaltes (Prokurators, avoué) von dem des Advokaten geschieden. Während
die Advokatur freigegeben war, wurden die auf eine bestimmte Zahl für jedes Gericht
fixirten Anwaltschaften nur an Advokaten (daher der Name Advokat-Anwälte) ver-
liehen. Endlich bestand in Baden, Mecklenburg-Schwerin, Nesklenburg:
v. Holtzendorff, Enc. II. Nechtslexikon III. 3. Aufl.