Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

274 Rechtsanwaltschaft. 
Strelitz, Frankfurt a. M., Hamburg und Bremen Freiheit der Advokatur, 
und zwar in der Weise, daß jeder, welcher die vorgeschriebenen Prüfungen abgelegt 
hatte, zu derselben zugelassen werden mußte. 
Als Qualifikation für die Advokatur wurde meistens dieselbe wie für die Be- 
kleidung einer Richterstelle verlangt, während in den freien Städten die Ablegung 
einer besonderen Advokatenprüfung erforderlich war. 
Anwaltszwang bestand in Deutschland in den Ländern des Französischen 
Rechtes, ferner in Hannover bei den höheren als den Amtsgerichten. 
Immerhin war die Lage des Anwaltsstandes vielfach noch eine gedrückte, 
namentlich in Folge der in manchen Ländern den Gerichten über die Advokaten in 
weitem Umfange eingeräumten Disziplinargewalt, in Folge unbefriedigender Gebühren- 
taxordnungen, und der richterlichen Kontrole in Betreff der Gebührenforderungen. Dieser 
Umstand hat mehrfach die Bildung von freiwilligen Anwaltsvereinen zur Erringung 
einer besseren Stellung für den Anwaltsstand und zur Vertretung der gemeinsamen 
Interessen desselben veranlaßt. So haben sich 1860 in Nassau, 1861 in Bayern 
und in Preußen solche gebildet, und endlich 1871 ein allgemeiner Deutscher Anwalts- 
verein, in welchen der Preußische aufgegangen ist. 
II. Geltendes Recht. In Folge der neuen Justizorganisation sind auch 
die Verhältnisse der Rechtsanwälte, so heißen jetzt die Advokaten, wie schon früher 
in Preußen, für ganz Deutschland durch die Deutsche Rechtsanwaltsordn. vom 1. Juli 
1878 einheitlich geregelt worden. Die neue Organisation ruht auf den Grund- 
sätzen der Freiheit der R., der Lokalisirung, des Anwaltszwanges und 
der Domizilirungs= und Residenzpflicht der Anwälte. 
Der Rechtsanwalt ist kein Staatsbeamter, er übt aber einen öffentlichen Beruf 
aus, kraft dessen er gewisse öffentliche Rechte und Pflichten hat. Er wird nicht an- 
gestellt, wol aber zur R. zugelassen. Fähig dazu ist nur derjenige, welcher die 
OQualifikation zum Richteramte in einem Bundesstaate erlangt hat. Ein Recht auf 
Zulassung existirt aber nur für den Staat, in welchem die Richterprüfung bestanden 
worden ist. Die Zulassung erfolgt auf Antrag durch die Landesjustizverwaltung 
nach vorgängigem Gutachten der betreffenden Anwaltskammer, beim Reichsgericht 
durch das Präsidium desselben. Sie muß aus bestimmten Gründen (z. B. wegen 
Verlustes der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter) versagt werden, und 
kann es auch aus anderen, gesetzlich festgesetzten Gründen. Die Zulassung erfolgt 
nach Wahl des Antragstellers bei einem bestimmten Gericht (auch einer vom Land- 
gericht detachirten Kammer für Handelssachen), ausnahmsweise auch bei mehreren 
Kollegialgerichten desselben Ortes; ferner kann die Zulassung eines bei einem Amts- 
gerichte zugelassenen Anwalts auch gleichzeitig bei dem Landgerichte des Bezirks er- 
folgen. Nach der Zulassung hat der Rechtsanwalt in öffentlicher Gerichtssitzung 
einen Eid auf gewissenhafte Erfüllung seiner Pflichten zu leisten. Ueber die zu- 
gelassenen Rechtsanwälte wird bei dem betreffenden Gericht eine Liste geführt. Mit 
der Eintragung in die letztere beginnt die Befugniß zur Ausübung der R. Die 
Zulassung gewährt dem Rechtsanwalt die Befugniß, vor jedem Gericht des Deutschen 
Reichs in Straf-, Civilprozeß= und Konkurssachen als Beistand aufzutreten, ferner, 
soweit kein Anwaltszwang besteht, Vertretungen zu übernehmen und Vertheidigungen 
zu führen. Soweit Anwaltszwang (s. d. Art. Anwaltsprozeß) eingeführt ist, 
kann nur ein bei dem Prozeßgericht zugelassener Anwalt als Prozeßbevollmächtigter 
für die Partei auftreten, jedoch ist es statthaft, daß in der mündlichen Verhandlung, 
einschließlich einer zur Beweisaufnahme bestimmten, ein anderer Anwalt die Aus- 
führung der Parteirechte (das Plaidoyer) und auf Grund einer Substitution des 
zum Prozeßbevollmächtigten bestellten Rechtsanwaltes auch die volle Vertretung 
übernimmt. 
Die dienstlichen Pflichten des Rechtsanwaltes sind folgende: 1) Er hat seine 
Berufsthätigkeit gewissenhaft auszuüben und in und außerhalb seines Berufes ein
	        
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