Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

Rechtshängigkeit. 277 
§ 72. Jetzt hat die CPO. § 235 festgesetzt, daß die R. durch die Erhebung der 
Klage begründet wird, d. i. regelmäßig durch die Zustellung des Schriftsatzes, 
welcher die Klage enthält (§ 230, Abs. 1). Die Wirkungen der R. find theils 
prozeßrechtlicher, theils materieller Natur. Der ersteren Art sind folgende: 1) jede 
Partei kann während der Dauer des Prozesses einer anderweitigen Geltendmachung 
derselben Streitsache durch den Gegner die prozeßhindernde Einrede der R. (exceptio 
litis pendentis) entgegensetzen (CPO. 8§ 235, Nr. 1; § 247, Nr. 3). Diese Ein- 
rede war dem klassischen Röm. Recht fremd; sie wurde ersetzt dadurch, daß die ein- 
mal bis zur litis contestatio geführte actio sogar konsumirt und damit ihre Wieder- 
holung für alle Zeit (theils ipso jure, theils per exceptionem rei in indicium de- 
ductae) ausgeschlossen war. Nach dem Wegfall des Konsumtionsprinzips entwickelte 
sich jedoch jene Einrede, weil die Vertheidigungspflicht nicht gleichzeitig mehrmals 
demselben Anspruch gegenüber besteht (Wach, in Krit. Vierteljahrsschrift XIV. 
S. 589). Ihr objektiver Umfang ist derselbe, wie bei der Einrede der rechtskräftig 
entschiedenen Sache. Auf die Form, in welcher die neue Geltendmachung des rechts- 
hängigen Anspruchs erfolgt (ob durch Klage, Kompensationseinrede, Widerklage oder 
Präjudizialinzidentklage), kommt nichts an. Von Amtswegen ist die Berücksichtigung 
der R. nicht geboten. — 2) Die sachliche, wie die örtliche Zuständigkeit des Gerichts 
bestimmt sich nach dem Zeitpunkt, in welchem die R. eintrat. Eine spätere Ver- 
änderung der Umstände, welche sie begründet haben, ist unerheblich (sog. perpetuatio 
kori; CPO. § 235, Nr. 2). — 3) Der Kläger hat nach Eintritt der R. nicht 
mehr das Recht, ohne Einwilligung des Beklagten eine Klageänderung (s. diesen 
Art.) vorzunehmen (CPO. § 235, Nr. 3). Daneben ist oft als prozeßrechtliche 
Wirkung der R. die Befugniß des Beklagten zur Erhebung einer Widerklage hin- 
gestellt worden. Allein diese setzt zwar die R. voraus, aber außerdem auch den 
späteren Akt der Streiteinlassung. Vgl. d. Art. Widerklage. Ueber die mit 
der R. verbundene Litigiosität s. diesen Art. Als materielle Wirkungen der R. 
kommen noch in Betracht die Unterbrechung der Verjährung und, was freilich streitig 
ist, der Ersitzung ((. diese beiden Art.), die Steigerung der Haftung des Beklagten 
bei der Vindikation ((. diesen Art.), der Eintritt der Vererblichkeit bei sonst 
unvererblichen Klagen u. a. m. Ueber dieselben im einzelnen vgl. Windscheid, 
Lehrb., I. §§ 124—126 und bezüglich des Preuß. Rechts Dernburg, Lehrb., I. 
§ 130—132. Die CPO. § 239 enthält in Bezug auf Art und Umfang dieser 
Wirkungen nur eine Verweisung auf das bürgerliche Recht. Dagegen setzt sie als 
Zeitpunkt des Eintritts für alle gleichmäßig den Moment der Erhebung der Klage 
fest, so daß damit die nach bisherigem Recht schon mit der Einleitung der Klage 
verbundenen hinausgeschoben, die bisher erst mit der Litiskontestation eintretenden 
vorgerückt sind. Jedoch darf diese Neuerung nicht auf solche Wirkungen erstreckt 
werden, welche nicht an die R. im Sinne des Prozeßbeginns, sondern an andere, 
zuweilen unter den Begriff der R. gezogene Momente geknüpft sind. So z. B. 
bleibt die Haftung desjenigen, der, als Besitzer beklagt, sich für einen solchen aus- 
giebt, ohne es zu sein, immer durch den Inhalt seiner Streiteinlassung bedingt und 
darum an den Zeitpunkt derselben gebunden. Ob der Augenblick des Eintritts der 
R. auch für die im Urtheil zu entscheidende Frage nach dem Vorhandensein des 
klägerischen Rechts maßgebend sei, ist bestritten. Für die Bejahung L. Seuffert, 
Komm. zur CPO., § 239, Anm. 1; dawider Gaupp, Komm, zu § 239, Anm. II. 
a. E. Das Richtige ist, daß insoweit als eine Ergänzung, Erweiterung oder Um- 
gestaltung der Klage zulässig ist (CPO. § 240), auch eine nach der R. eingetretene 
Veränderung der Umstände bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung, auf welche 
das Urtheil ergeht, vom Kläger geltend gemacht werden kann. — Die Dauer der 
R. erstreckt sich bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Prozesses oder der ander- 
weitigen Erledigung desselben durch Zurücknahme der Klage, Verzicht auf den An- 
spruch u. s. w. Bei Rechtskraft des Endurtheils wird die Einrede der R. abgelöst
	        
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