Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Erste Hälfte. Pachmann - Stöckhardt. (2.3.1)

Rechtsmittel. 299 
Ansicht: Löwe, S. 601 N. 2b; v. Kries, S. 49; anderer Meinung: v. Schwarze 
(in v. Holtzendorff's Handbuch, 1I. S. 251), weil das rechtliche Interesse des 
Angeklagten sich auf Nichtverhängung einer Strafe beschränke. Das ist einmal nicht 
ganz richtig, z. B. wenn bezüglich eines jugendlichen Verbrechers die erziehende Maß- 
regel der Unterbringung in eine Besserungsanstalt angeordnet wird, dann aber läßt 
diese Ansicht doch zu sehr die Rücksicht auf das sittliche Empfinden außer Acht, 
deren der Staat sich in seinem eigensten Interesse nicht entschlagen darf. Außerdem 
spricht jedenfalls die Bestimmung des § 266 Abs. 4 dafür, daß das Gesetz den 
Unterschied zwischen „nicht schuldig“ und „nicht strafbar“ keineswegs für irrelevant 
hält. — Daß im Falle des § 209 Abs. 2 dem Beschuldigten ein R. versagt ist, 
welches dem Staatsanwalt zusteht, ist nur eine scheinbare Beeinträchtigung, denn 
der Beschluß, durch welchen das Verfahren eingestellt wird, steht in seiner direkten 
Wirkung dem freisprechenden Endurtheile gleich. Bezüglich der Zulässigkeit der 
Wiederaufnahme des Verfahrens ist allerdings ein Unterschied vorhanden (vgl. § 210 
mit § 402), welcher ein Endurtheil erwünschter scheinen läßt, doch hat der Be- 
schuldigte einen rechtlichen Anspruch nur darauf, daß über seine Schuld oder Un- 
schuld eine gerichtliche Entscheidung erfolge, nicht aber darauf, daß dies durch ein 
Endurtheil geschehe. Ebensowenig wird der Angeklagte durch den Beschluß beschwert, 
welcher über die sachliche Zuständigkeit nach Maßgabe des § 270 entscheidet, da er 
das Urtheil des für zuständig erklärten Gerichtes eventuell auf Grund des § 377 
N. 4 anfechten kann. — Die Staatsanwaltschaft ist keineswegs eine reine Prozeß- 
partei, sondern eine Vertreterin des staatlichen Interesses, das durch die Verurtheilung 
nicht des Angeklagten, sondern des Schuldigen gewahrt, durch ein ungerechtes Urtheil 
aber stets verletzt wird. Einer solchen Verletzung gegenüber hat der Staatsanwalt 
die Pflicht, sich der zulässigen R. zu bedienen, und es ist nur eine nothwendige 
Konsequenz, wenn § 338, Abf. 2 der Staatsanwaltschaft die Befugniß einräumt, die 
R. auch zu Gunsten des Beschuldigten anzuwenden. Damit ist nicht ein dispositives 
Recht eingeräumt, sondern eine Pflicht auferlegt, die in allen Fällen ausgeübt werden 
muß, wo die gegen den Beschuldigten ausgefallene Entscheidung ungerecht erscheint, 
ohne daß auf die im Laufe des Verfahrens von der Staatsanwaltschaft gestellten 
Anträge oder den Willen des Beschuldigten ankäme. Ob im einzelnen Falle das 
R. zu Gunsten oder Ungunsten des Beschuldigten ergriffen sei, wird das Gericht zu 
entscheiden haben. Vgl. über diese Frage Löwe, S. 602 N. 8. — Diese Pflicht 
geht auf die anderen strafverfolgenden Parteien nicht über. Daran ändert auch 
§ 430 nichts. Derselbe räumt allerdings dem Privatkläger (vgl. §§ 437, 465 ff.) 
diejenigen R. ein, welche in dem Verfahren auf erhobene öffentliche Klage der 
Staatsanwaltschaft zustehen, sagt aber nicht, daß er sich ihrer auch in derselben 
Weise bedienen könne. Wenn die R. des Privatklägers schon an sich dieselbe Be- 
deutung hätten wie die der Staatsanwaltschaft, so wäre es jedenfalls überflüssig 
gewesen, die Anwendbarkeit des § 343 noch besonders hervorzuheben. Die Be- 
rathungen der Reichsjustizkommission (Protok. S. 664; Hahn, 1097) geben 
gar keinen Aufschluß. Der Antrag v. Schwarze's, diese Befugniß für den Privat- 
kläger ausdrücklich auszuschließen, wurde abgelehnt, ohne daß sich erkennen ließe, ob 
man ihn für unrichtig oder für überflüssig hielt. (Gleicher Ansicht: Dalcke, S. 261; 
Thilo, S. 483 N. 1; Bomhard und Koller, S. 314; v. Kries, S. 47; 
anderer Meinung: Löwe, S. 705 N. 2, v. Schwarze, Komment., S. 571, 
vgl. dagegen die Ausführung in v. Holtzendorff's Handb., II. 250; Keller, 
S. 471 N. 2; Dochow, S. 95; Puchelt, S. 725 N. 2.) — Natürlich macht 
es bezüglich der Staatsanwaltschaft einen Unterschied, ob sie für oder gegen den Be- 
schuldigten handelt. Während sie im letzteren Falle, z. B. durch Verletzung von 
Rechtsnormen, welche lediglich zu Gunsten des Angeklagten gegeben sind, nicht be- 
schwert erscheint (vgl. § 378), kann sie im ersten die Revision auch auf diesen Grund
	        
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