326 Regierungsstellvertretung.
ersten Theoretiker des Preußischen Staatsrechts, nämlich v. Rönne, angeschlossen,
der seine in der ersten Auflage des „Staatsrechts der Preußischen Monarchie“, I.
§ 85, ausgeführte entgegengesetzte Ansicht in den späteren Auflagen zurücknahm.
Indessen auch dieser Autor findet in der vierten Auflage seines Werkes, I. § 51,
N. 1, gegen die in Veranlassung des Attentats von 1878 getroffene Einrichtung
nichts zu erinnern. Ja, trotz seines prinzipiellen Bedenkens erklärt er, sich hierbei
wörtlich an R. Mohl, Völkerr. Staatsr. Politik, I. 149, N. 1, anschließend, daß
der König bei kürzeren Unterbrechungen seiner Regierungsthätigkeit die Befugnisse der
Minister erweitern, die Unterschriften an den Thronfolger übertragen dürfe „oder
dergleichen“; überhaupt, meint er, müsse in jedem einzelnen Falle „die freie Wahl
des Mittels, und namentlich der Umfang des den vorläufigen Stellvertretern über-
tragenen Rechts“ dem Könige überlassen bleiben. Seine Argumentation scheint sich
also darauf zu richten, daß eine R. nicht Mittel werden darf, um eine verfassungs-
mäßig nothwendige Regentschaft zu umgehen. Und in der That, auch die weitest-
gehende R. wird durch eine so tiefe Kluft von der Regentschaft unterschieden; erscheint
als ein in Voraussetzung, Dauer und Wirksamkeit so beschränktes Verhältniß, daß
jeder Versuch, sie über die ihr durch die Natur des monarchischen Rechts gesteckten
Grenzen auszudehnen, eine Verwirrung des öffentlichen Rechtszustandes herbeiführen muß.
Denn während die Regentschaft kraft des Gesetzes einzutreten hat in Fällen, in
welchen eine thatsächliche Regierungsunfähigkeit des Monarchen von nicht abzusehender
Dauer festgestellt wird, setzt die R. allemal einen Vollmachtsauftrag des regierungs-
fähigen Monarchen voraus, welcher für eine von ihm als vorübergehend in Aussicht
zu nehmende Behinderung betreffs der erforderlich erscheinenden Erledigung der ihm
obliegenden Geschäfte Vorsorge trifft. Während der Reichsverweser stellvertretender
Inhaber der Regierungsgewalt ist, die Regierung unverantwortlich nach seinem eigenen
und freien Ermessen führt, die Gesetze seinen Namen tragen, während er weder durch
persönliche Eingriffe des Monarchen behindert wird noch dessen Abberufung unter-
worfen ist, geht bei der R., möge ihr ein noch so weiter Spielraum eröffnet sein,
die Vollmacht immer nur auf einzelne Geschäfte oder Geschäftskomplexe oder eine
Summe von solchen. Der Stellvertreter fühlt sich durch die „Intentionen“ seines
Machtgebers überall gebunden. Er darf nur solche Entschließungen fassen, für welche
der Auftrag hinreichende Legitimation giebt und ist für die pünktliche Ausführung
desselben dem Fürsten verantwortlich. Wenn nach verbreiteter Ansicht diese Ver-
antwortlichkeit auch von den Gerichten und von der Volksvertretung geltend gemacht
werden darf, so kann das allerdings für den Bereich seiner Regierungshandlungen,
von denen selbstverständlich eine jede ministerieller Kontrasignatur bedarf, nicht zu-
gestanden werden. Für diese wird er durch die landesherrliche Vollmacht gedeckt.
Das legt denn aber die Frage nach den Mitteln nahe, über welche das Land
gebietet, um eine mißbräuchliche Verwendung der R. abzuwenden oder zu beseitigen?
Der monarchischen Institution liegt in Deutscher Auffassung der Gedanke zu Grunde,
daß der Monarch die Regierung selber und nicht durch einen Andern zu führen hat.
Eine gelegentliche Zeichnung landesherrlicher Erlasse durch eine andere Person, „auf
allerhöchsten Spezialbefehl“ wird heutzutage ohne rechtlichen Effekt; und eine will-
kürliche und formlose Uebertragung der Unterschriften an eine solche würde ver-
fassungswidrig sein. Vielmehr ist jede Bestellung einer R. ein verantwortlicher, der
Publikation in den landesgesetzlichen Formen bedürftiger Regierungsakt, der als
solcher der Prüfung des Staatsministeriums bedarf und der rechtlichen und politischen
Kontrole der Landesvertretung unterliegt.
Lit.: Eine ausführliche und gründliche Besprechung des Gegenstandes hat zuerst Mitt-
nacht, Ueber Stellvertretung des vorübergehend an der Regierung verhinderten Fürsten, in
Cotta's Deutscher V.J. Schr. 1864 Heft II. S. 222 geliefert; demnächst Fricker, Thron-
unfähigkeit und Reichsverwesung, in Zeitschr. für Staatswissenschaft XXXI. S. 266 ff. Neuer-
dings Schulze im Lehrb. d. Teutschen Staatsrechtes (1880), S. 270 ff., u. A. v. Kirchen-
heim, Die Regentschaft (1880), S. 57 ff. F. v. Martitz.