Reichskriegsschatz. 401
ligungen erwächst, so ist diese doch so wenig substantiirt, daß in dieser Hinsicht Alles
auf den guten Willen des Reichstags ankommt, der dieser Forderung an sich schon
durch jährliche Bewilligungen ganz geringer Summen entsprechen würde, und zwar
desto wahrscheinlicher, je knapper die allgemeinen Staatsmittel nach einem unglück-
lichen Kriege sein würden.
Die normale Höhe des R. ist auf 40 Millionen festgesetzt worden, während
eine proportionelle Berechnung zu einer Höhe von 48 Millionen geführt haben
würde. Es ist dabei übrigens unter Hinweis auf die Erfahrungen von 1870 aus-
drücklich festgestellt worden, daß die Summe von 40 Millionen noch nicht einmal
ausreicht, um die einmaligen Mobilmachungskosten zu decken.
2) Was die Verwendung des R. betrifft, so ist zunächst ausdrücklich vor-
geschrieben, daß derselbe seiner offiziellen Bezeichnung gemäß nur für Zwecke der
Mobilmachung benutzt werden soll. Diese Benutzung soll ferner mittels Kaiserlicher
Anordnung, aber nur unter vorgängig oder nachträglich einzuholender Zustimmung
des Bundesrathes und des Reichstages verfügt werden. Die Zustimmung des
Bundesrathes rechtfertigt sich aus der ganzen Struktur der Reichsverf., wenn auch
gerade in militärischen Dingen, und also auch in Mobilmachungsfragen, der Kaiser
an sich vom Bundesrathe unabhängig ist; nur zu einer Kriegserklärung ist in ge-
wissen Fällen die Zustimmung des Bundesrathes erforderlich. Die Zustimmung des
Reichstages enthält eine starke Erweiterung der konstitutionellen Befugnisse, die aber
doch lediglich die Bedeutung einer ornamentalen Verzierung hat; denn da diese
Zustimmung erst nachträglich eingeholt zu werden braucht, so ist es ein völliges
Räthsel, welche Wirkungen die nachträglich verweigerte Zustimmung eigentlich haben
soll; das Räthsel ist in der That unlösbar, und so hat man sich damit begnügt,
die ganze Frage für unpraktisch zu erklären. Das ist sie auch in Wahrheit genan
ebenso sehr, wie das Recht der Verweigerung von Kriegsanleihen.
3) Die Verwaltung des R. ist dem Reichskanzler übertragen, welcher dieselbe
nach den darüber mit Zustimmung des Bundesrathes ergehenden Anordnungen des
Kaisers unter Kontrole der Reichsschuldenkommission zu führen hat. Die Reichs-
schuldenkommission erhält von dem Reichskanzler alljährlich eine Nachweisung über
den Bestand des R. und außerdem in kürzester Frist Mittheilung von allen in An-
sehung desselben ergehenden Anordnungen und vorkommenden Veränderungen. Sie
hat die Befugniß, sich von dem Vorhandensein und der sicheren Verwahrung Ueber-
zeugung zu verschaffen. Dem Bundesrathe und dem Reichstage ist bei deren regel-
mäßigem Zusammentritt von der Reichsschuldenkommission Bericht zu erstatten. Auf
Grund dieser Bestimmungen hat eine Kaiserliche Verordnung, betreffend die Ver-
waltung des R., vom 22. Januar 1874 das Nähere angeordnet, insbesondere auch
68 1), daß der zur Bildung des R. bestimmte Betrag von 40 Millionen Thalern
in gemünztem Gelde in dem Juliusthurm der Citadelle von Spandau verwahrlich
niederzulegen ist.
4) Die Bildung des R. war jedoch noch von der Suspensivbedingung abhängig,
daß der Preußische Staatsschatz aujgehoben würde. Diese Aufhebung ist durch das
Gesetz vom 18. Dezember 1871 erfolgt, und zwar vom 2. Januar 1872 an. Die
dadurch disponibel gewordenen 30 Millionen sind dann in ihrem Hauptbestande in
Höhe von 26½ Millionen zur Tilgung der am höchsten verzinsten Preußischen
Staatsschuld, der fünfprozentigen Anleihe von 1859, außerdem aber im Betrage von
etwa 3½ Millionen zur Tilgung solcher Passivrenten verwandt worden, die zum
zwanzigfachen Betrage ablösbar sind, also gleichfalls eine fünfprozentige Staatsschuld
repräsentiren. Alle bisherigen Einnahmen des Staatsschatzes endlich sollen hinfort
dem allgemeinen Staatsfonds zufließen und sind nach einem Zusatze des Abgeord-
netenhauses zur Schuldentilgung zu verwenden, soweit darüber nicht im Staats-
haushalt oder sonst in gesetzlicher Weise verfügt wird.
v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon III. 3. Aufl. 26