404 Reichsland.
raths einzelne Artikel derselben eingeführt werden könnten. Letzteres geschah auf
dem Gebiete des Zollwesens (Art. 33 — Kaiserl. Verordn. vom 17. Juli 1871
[R.G. Bl. S. 325|) nebst Verordn. vom 19. und 30. Aug. 1871 (R.G.Bl. S.
326, 329.), auf dem des Post= und Telegraphenwesens (Art. 48—52 — Kaiserl.
Verordn. vom 14. Okt. 1871 [R.G.Bl. S. 4431|), auf dem des Eisenbahnwesens
(Art. 41—47 — Kaiserl. Verordn. vom 11. Dez. 1871 ([R.G.Bl. S. 444)), der-
gestalt jedoch, daß die Verwaltung der Eisenbahnen des R. der Landesverwaltung
entzogen und auf die Verwaltung des Reiches selbst übertragen wurde, auf dem
Gebiet des Kriegswesens (Art. 57, 59, 61, 63, 65, — Kaiserl. Verordn. vom
23. Januar 1872 (R.G. Bl. S. 31)) nebst dem Ges. vom 9. Nov. 1867 über die
Verpflichtung zum Kriegsdienst. Schon zufolge dieser Verfassungsbestimmungen
wurde das R. obwol kein selbständiges Bundesglied, sondern Provinz des Reichs
in seinem Verhältniß zu diesem thatsächlich wie ein selbständiger Gliedstaat des
Reichs behandelt, und das Gleiche erfolgte durch Einführung einer Reihe von Reichs-
gesetzen, welche eine solche. Existenz zur Voraussetzung haben, wie das Gesetz über
die Rechtshülfe vom 21. Juni 1869 (Ges. vom 11. Dezember 1871 (R. G. Bl.
S. 445)), über die Rinderpest vom 7. April 1869 (Ges. vom 11. Dezember 1871
la. a. O.)), das Festungsrayongesetz vom 21. Dez. 1871 (Ges. vom 21. Februar
1872 (R.G.Bl. S. 55.)), § 29 der Gew.O. vom 21. Juni 1869 (Ges. vom 15.
und Verordn. vom 19. Juli 1872 (R.G.Bl. S. 350, 351)) u. s. w.
3) Die unmittelbare Herrschaft der Reichsgesetzgebung (vom
1. Januar 1874 bis 2. Mai 1877). Durch Gesetz vom 25. Juni 1873 (R. G. Bl.
S. 61) trat mit dem 1. Januar 1874 die NVerf. in Elsaß-Lothringen in Kraft,
dergestalt, daß das Land dem Bundesgebiet hinzutrat, 15 Abgeordnete zum Reichs-
tage erhielt (Wahlges. vom 31. Mai 1869 und Verordn. des Bundesraths vom
1. Dezember 1873 (R.G.Bl. S. 375)] betreffend die Abgrenzung der Wahlkreise)
und daß die Reichsgesetze über die Biersteuer keine Anwendung finden, die Landes-
gesetze über das Octroi aber beibehalten bleiben sollten. Fortan stand Elfaß-
Lothringen unter dem Schutze der Merf.; freilich in anderer Weise als die Bun-
desstaaten. Denn während in diesen Aenderungen der NVerf. nur im Wege des
Art. 78 vor sich gehen können, kann das Reich im R., wo die Verfassung nur durch
ein Gesetz eingeführt ist, eine Veränderung und Aufhebung derselben auch wieder im
Wege eines einfachen Reichsgesetzes erfolgen lassen. Zur Landesgesetzgebung im R. bedurfte
es fortan eines Reichsgesetzes mit der Modifikation, daß der Kaiser mit Zustimmung
des Bundesraths, während der Reichstag nicht versammelt war, Verordnungen mit
Gesetzeskraft erlassen konnte, die jedoch dem Reichstage bei seinem Zusammentritt
vorgelegt werden mußten und ihre Wirksamkeit verloren, wenn er seine Genehmigung
versagte. Während in der vorigen Periode der Kaiser als delegirter Landesherr von
Elsaß-Lothringen gleichberechtigt in Fragen der Gesetzgebung dem Bundesrath gegen-
überstand und seine Sanktion als ein besonderer Faktor der Gesetzgebung galt, war
fortan ein reichsländisches Partikulargesetz materiell und formell Reichsgesetz, zu
welchem es nur der Zustimmung von Bundesrath und Reichstag bedurfte und der
Kaiser als selbständiger Faktor der Gesetzgebung außer Wirksamkeit trat. (Vgl.
Laband, Staatsrecht, II. S. 144; anderer Meinung: Zorn, Staatsrecht, I. S. 433.)
Nur hinsichtlich der Nothstandsverordnungen war das bisherige staatsrechtliche Ver-
hältniß stehen geblieben, doch durften sie nicht eine Veränderung der Verfassung oder
eines in Elsaß-Lothringen geltenden Reichsgesetzes oder Anleihen und Garantien zu
Lasten des R. zum Gegenstand haben.
4) Der Uebergang zur Selbständigkeit (vom 2. Mai 1877 bis
1. Oktober 1879). Bereits durch Erlaß vom 29. Oktober 1874 (R.G.Bl. 1877,
S. 492) war der Reichskanzler ermächtigt worden, den Landeshaushalt und die
innere Gesetzgebung des R. betreffende Entwürfe gutachtlich einem Landesausschuß
vorzulegen, welcher durch die drei Bezirkstage des Landes (Unter-, Ober-Elsaß und